Dez. 2018/ 2019 - Ausgabe 205
Geschichten & Geschichte
Die Hansa Studios von Max Ring |
Es sollte ein Kammermusiksaal werden. Dann spielten die Einstürzenden Neubauten. Es ist schon eine imposante Erscheinung, das neoklassizistische Gebäude auf der Kreuzberger Seite der Köthener Straße: Sechs ionische Säulen schmücken die Fassade, auf dem Fries prangt in großen Lettern »Meistersaal«. 1913 ursprünglich als Kammermusiksaal konzipiert, wurde der große Saal des Geschäftshauses nach dem Krieg zum Ballhaus City, dann zum Ballhaus Susi. Die meisterhaften Kammermusiker gehörten bald der Vergangenheit an, ebenso literarische Meister wie Kurt Tucholsky, die in den 20er Jahren den prunkvollen Saal für ihre Auftritte nutzten. Gunter und Kalle wollen den Produzenten Peter Wagner sprechen. Der Country-Sänger plant sein Comeback. Aus dem Fahrstuhl kommt ihnen Udo Jürgens entgegen. »Oh, der große Meister …« brummt Gunter, dann folgt ein kurzer Smalltalk unter Künstlern. Udo wollte seinen Flug nach Zürich nicht verpassen. Auch Gunter Gabriel produzierte bei Hansa mehrere Platten. Kalle war 1980 dabei, als er »Ich tanz‘ nie wieder eng« einspielte. Kalle hatte die Aufgabe, Getränke für die Musiker zu besorgen, und war begeistert: »Das wird ein Hit!« Kurioserweise ging diese Aufnahme irgendwie verloren. Was später auf CD erschien, war laut Kalle »Lichtjahre von der hitverdächtigen Ur-Version entfernt«. Die Hansa Studios jedenfalls waren Legende. Begonnen hatte die Geschichte Anfang der 60er Jahre mit einem kleinen Tonstudio in der Wittelsbacher Straße 18, dem Firmensitz der Brüder Peter und Thomas Meisel. In einem zweiten Tonstudio, dem »Hansa 1« in der Nestorstraße in Halensee, produzierten die Brüder Anfang der Siebziger einige Hits, die genug Geld einspielten, um 1975 den 266 Quadratmeter großen »Meistersaal« in der Köthener Straße zu übernehmen. Der Saal hatte wegen seiner hervorragenden Akustik seit dem Mauerbau schon der Plattenfirma Ariola als Aufnahmestudio gedient, und ein Jahr später hatten auch die Meisel-Brüder mit ihren Platten genug verdient, um das komplette Haus zu kaufen und in ein Studio zu verwandeln. Als Ersatz für das geschlossene »Hansa 1« in der Nestorstraße ging 1980 das »Hansa 1« im 4. Stock der Köthener Straße in Betrieb, dazu gleich nebenan das Misch-Studio »Hansa Mixroom«. Im 3. Stock installierte man ein sogenanntes Übungsstudio für Toningenieure. Zu Beginn der 80er Jahre wurde dort, wo früher die Centrum-Tageslichtspiele Kinogänger aus der ganzen Stadt anlockte, zusätzlich noch das »Hansa Studio 3« eröffnet. Da in der Köthener Straße gleich in mehreren Studios und rund um die Uhr gearbeitet werden konnte, entwickelte sich das Haus nach und nach zu einem Musikproduktionshaus allererster Güte. Die Hansa Musik Produktion lag als Produktionsfirma, als Label und als Musikverlag in Deutschland ganz vorne. Zahllose Hits eroberten von Kreuzberg aus nicht nur den deutschsprachigen Markt. Neben Interpreten wie Gitte, Manuela, Drafi Deutscher, Marianne Rosenberg, Peter Maffay, Roland Kaiser, Nina Hagen, Udo Lindenberg und den Einstürzenden Neubauten sorgten Namen wie Mireille Mathieu, Boney M., Eruption, Milli Vanilli oder Modern Talking durchaus schon für internationale Aufmerksamkeit. Auch die letzten Operettenaufnahmen von Robert Stolz sowie Aufnahmen von Rudolf Schock, Ivan Rebroff und Paul Kuhn mit dem SFB-Tanzorchester kamen aus dem Hause Hansa. Weltweit bekannt allerdings wurden die Hansa-Studios erst durch David Bowie, der in den 70er Jahren Berlin zu seiner Wahlheimat gemacht hatte. Im alten »Meistersaal« nahm Bowie »Heroes« auf, ein Titel, der von der Kreuzberger Nummer 38 aus die Welt eroberte! Mit seinem Kollegen Iggy Pop entstanden hier 1977 auch die Alben »Low« und 1982 »Baal«. Die Hansa Studios standen schnell im Ruf, zu den besten Aufnahmestudios der Welt zu gehören. Gruppen wie Depeche Mode, U2, Nick Cave & The Bad Seeds, Real Life und viele andere Musiker kamen, um in dem Studio, das Bowie stets als »The big hall by the wall« bezeichnete, zu produzieren. Dann aber brach das digitale Zeitalter an, auch in der Musikindustrie fand ein großer Umbruch statt, die großen analogen Studios wichen kleinen, hermetisch abgeriegelten Aufnahmekämmerchen. Auch der große Meistersaal wurde parzelliert. Es war pure Nostalgie, wenn sich die Gebrüder Meisel zu Beginn der 90er Jahre dann tatsächlich dazu entschlossen, das »Hansa Studio 2« in seinen Ursprungszustand zurückzuverwandeln. Und deshalb steht es also noch heute da, das gewaltige Mischpult mit seinen vielen Registern. Studioaufnahmen werden im Kreuzberger »Meistersaal« keine mehr produziert, aber wenn es um Livekonzerte geht, dann ist die Köthener Straße noch immer eine der besten Adressen. Dann lockt das »Hansa 1« ganz wie in alten Zeiten die Top-Acts der Welt in das legendäre Studio nach Kreuzberg - nur den Blick auf die Berliner Mauer, den gibt es heute nicht mehr. • |