August 2018 - Ausgabe 201
Geschichten & Geschichte
Kein Platz im Luftschutzkeller von Esther Blumberg |
Zwischen dem Landwehrkanal und der Spree lag Anfang des 20. Jahrhunderts das Berliner Exportviertel. Mit dem 2. Weltkrieg aber erlosch der Glanz des Gründerzeitviertels abrupt. In den Hinterhöfen, in denen zuvor Leuchter, Grammophonplatten und Luxusartikel aller Art das Leben versüßten, wurden jetzt Maschinen zum Töten gebaut. Die Führungskräfte von Siemens und Daimler gingen im Reichskriegsministerium ein und aus, wer sich weigerte, mit den Nazis zu kooperieren, hatte es schwer. So verbargen sich bald mehr als 500 Rüstungsbetriebe in den einst zivilen Fabrikationshallen Berlins, ein großer Teil von ihnen im ehemaligen Exportviertel, mitten in Kreuzberg, einem dicht besiedelten Wohngebiet. Das Leben zwischen Landwehrkanal und Spree veränderte sich innerhalb weniger Monate komplett. Wo einst gut bezahlte Fachkräfte und ein gehobener Mittelstand ihrer Arbeit nachgingen, sah man jetzt die gebückten Gestalten der Zwangsarbeiter. Zeitzeugen erinnern sich, dass »in der Ritterstraße mehr Zwangsarbeiter als Zivilpersonen« lebten. Sie waren im Hotel Deutscher Hof in der Luckauer Straße oder in der Reichsdruckerei in der Oranienstraße untergebracht. Sie waren »klar von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden, sie trugen Abzeichen, worauf Pole oder Russe stand.« Diese Schilder waren es, die den Zwangsarbeitern während der Bombenangriffe den Zugang zum Luftschutzkeller verwehrten. Auch ihre Kinder waren von dem Verbot betroffen. Ein zehnjähriger Junge aus der Alexandrinenstraße erinnerte sich Jahre später an seine fünf polnischen Freunde. Auch sie durften nicht in den Luftschutzkeller, »weil sie keine Deutschen waren. Sie mussten sich irgendwo auf dem Firmengelände verkriechen. Nach dem Angriff habe ich nie wieder etwas von ihnen gehört.« »Es gab viele Zwangsarbeiter bei uns in der Gegend, ich erinnere mich, dass 1943 kleine Russenkinder in der Alexandrinenstraße lebten, das ist mir als Kind natürlich aufgefallen. Aber nach kurzer Zeit waren sie wieder verschwunden, vermutlich sind sie alle im KZ gelandet.« Auch in der Sebastianstraße 75 arbeiteten etwa 30 Zwangsarbeiter. »Die Juden und Zigeuner, die dort untergebracht waren, verbrachten die Zeit während der Luftangriffe in der Waschküche. Wo sie geblieben sind, weiß ich nicht. Wahrscheinlich sind sie umgekommen.« Ihre Kinder wurden deportiert. »In der Nähe des Moritzplatzes war ein jüdischer Kindergarten. Es war schrecklich. Ich habe miterlebt, wie die Kinder mit Lastwagen abgeholt wurden, die Bündel wurden ihnen nachgeworfen. Ein Mann in Uniform hat mir verboten, zuzuschauen, ich solle verschwinden, befahl er. Ich habe erst viel später verstanden, dass diese Menschen wahrscheinlich alle in den Konzentrationslagern ermordet wurden. « • |