August 2018 - Ausgabe 201
Herr D.
Der Herr D. geht ans Telefon von Hans W. Korfmann |
Von 15 Jahren zwischen zwei unvergesslichen Telefonaten Der Herr D. sprang auf und ging zum Telefon. Das hätte er nicht tun sollen. »Sie wollten Frau Braun sprechen?« »Nein!«, sagte der Herr D. »Aber ich sehe doch Ihre Nummer auf dem Display!« »Tja, also...«, sagte der Herr D. und überlegte, ob er im Laufe des Tages eventuell beim Finanzamt oder der Firma, die in seiner Wohnung die Leitungen verlegen wollte, angerufen hatte. Oder bei der Telefonfirma, der er wegen der Rechnung geschrieben hatte. »Sie wollten meine Frau sprechen! Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit?« Der Tonfall des Mannes am anderen Ende der Leitung legte die Vermutung nahe, dass es sich nicht um eine Mitarbeiterin des Finanzamtes handelte, dass die Frau des Anrufers öfter mit fremden Männern telefonierte, und dass es um das Eheleben des Anrufers nicht sonderlich glücklich bestellt sein musste. »Es tut mir leid, ich habe Ihre Nummer nicht gewählt!« »Ich sehe es doch auf dem Display!« »So ein Telefon kann sich auch mal irren!«, beruhigte der Herr D. seinen Geschlechtsgenossen. »Diese modernen Dinger führen ja längst ein Eigenleben, und wenn es ihnen zu langweilig ist, dann telefonieren sie eben mal untereinander.« »Sie wollen mich verarschen! Was wollten Sie von meiner Frau?« »Gar nichts!«, beteuerte der Herr D. und wunderte sich, wie schnell man heutzutage in die Intimbereiche seiner Mitbürger eindringen konnte. »Ich habe Ihre Frau noch nie gesehen!« »Ich glaube Ihnen kein Wort!« »Das ist Ihr Problem!«, rief der Herr D. »Wo wohnen Sie eigentlich? 69er Nummer - das ist doch eine Kreuzberg, oder? Aus diesem Loch kommen Sie also! Ich sage Ihnen was: Wenn Sie noch einmal meine Frau belästigen, dann stehe ich vor Ihrer Tür, und dann Gnade Ihnen Gott, Sie Idiot...« Der Herr D. legte auf, lehnte sich in seinen Ohrensessel zurück und überlegte, wie wenig das Telefonieren heutzutage Spaß machte. Und dachte an ein Gespräch vor 15 Jahren zurück: Er hatte Horst aus der Fidicinstraße anrufen wollen, aber dann wählte er anstatt der 67 am Schluss eine 76. »Oh, verdammt, ich hab mich verwählt!«, murmelte der Herr D., als er die rauchige Frauenstimme hörte. »Wer weiß?«, sagte die Frau. »Sie meinen, das ist Schicksal?«, fragte der Herr D. »Na klar! Ist doch so ein lauer Abend, und keiner ruft an. Nur Sie! Wo wohnen Sie eigentlich?« – »Kreuzberg, Viktoriapark!« – »Hab ich´s mir doch gedacht! Ich auch!«, sagte Anja. »Das ist Kreuzberg!«, dachte der Herr D. Damals, als er sich noch einmal die Schuhe anzog, obwohl es gleich schon Mitternacht war. • |