September 2017 - Ausgabe 192
Herr D.
Der Herr D. und der Herr Müller von Hans W. Korfmann |
Als der Herr D. revoltieren wollte. Der Herr D. erschrak, als er Jorgos in der Markthalle sah. Er hatte den Wirt vom Z noch nie mit derart dramatischen Stirnfalten gesehen. Der Herr D. spendierte ihm sofort eine Pita bei Olga. Aber es half nichts. »Seit dreißig Jahren stelle ich Tische unter die Platane, dreißig Jahre lang hab ich immer eine Genehmigung bekommen. Sie haben mir verboten, dass ich Blumen bei der Platane pflanze, ok, aber die Tische haben sie mir gelassen. Sie stören niemanden, im Gegenteil, die Ecke ist viel schöner mit karierten Tischdecken. Die Touristen fotografieren, als wäre hier Kreta!« »Unser Bürgermeister ist eben ein ordentlicher Mensch!«, sagte der Herr D. »Es kann doch nicht jeder seine Tische auf die Straße stellen. Der Krieg ist vorbei, irgendwann muss doch mal wieder Ruhe und Ordnung einkehren in dieser Stadt.«, witzelte der Herr D. Doch der Wirt lachte nicht mehr. Er erzählte, dass er wie jedes Jahr einen Antrag gestellt habe, aber keinen Bescheid erhalten habe. Seit drei Monaten nicht. Er hatte angerufen, hatte nachgefragt, aber er erhielt immer die gleiche Antwort: Man habe keine Zeit. Die Kontrolleure allerdings hatten Zeit. Sie kamen und bemängelten die Tische auf der so genannten Gehsteigvorstreckung, jener Stelle, wo sich das Pflaster des Bürgersteiges vor der Kreuzung um etwa einen Meter verbreitert. Jorgos erhielt einen Zahlschein über 600 Euro. Jorgos war gekränkt. Zwei Tage später stand der Herr D. auf dem Balkon und murmelte: »Das darf doch nicht wahr sein!« Da saß unten auf der Straße an einem Tisch mit karierter Tischdecke der Herr Müller, der Bürgermeister mit seinem blauen Jackett und zwei Kollegen. Wenn Steinmeier oder Merkel, selbst wenn Trump da gesessen hätte, es wäre dem Herrn D. egal gewesen! Aber dieser Spielverderber, der den Berlinern die Spielwiese vor dem Flughafen wegnehmen wollte, der die Straßen verbreitern und die Gehwege verschmälern wollte, der sämtlichen Lokalbesitzern mit Sperrstunden drohte - mitten in Kreuzberg, jenem Viertel, das im prüden Nachkriegsdeutschland das Leben aus den dunklen Wohnzimmern so erfolgreich auf die Straße hinaus verlegt hatte, dass Menschen aus aller Welt zum Essen nach Berlin kamen... Der Herr D. belästigte niemanden gerne während des Essens, aber bei diesem Schrebergärtner musste er eine Ausnahme machen. Er nahm allen Mut zusammen, lief die Treppen hinunter, hatte sich die Worte schon zurechtgelegt - »Das geht ja nun gar nicht, Herr Müller, Sie sollten sich schämen: Erst die Tische auf der Straße bemäkeln, und sich dann selbst dran setzen und in aller Ruhe Schnitzel essen. Und jetzt sagen Sie bloß nicht, das wäre das Ordnungsamt. Sie sind der Chef dieser Stadt, Sie sind das Ordnungsamt... « - doch als er endlich klopfenden Herzens auf der Straße stand, rief er nur noch: »Mist!« - Der Bürgermeister war wieder einmal rechtzeitig verschwunden. • |