November 2017 - Ausgabe 194
Herr D.
Der Herr D. kauft zwei Zwiebeln von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. wollte ein Bier. Aber sie standen wieder mal mitten im Getränkeladen, abends um zehn, der mit dem karierten Hemd und der mit der BZ unterm Arm. Sie standen da nicht wegen des Bieres, sondern wegen der Ansprache. So wie sie früher nicht wegen des Bieres in der Kneipe waren, sondern der Gesellschaft wegen. Aber die Kneipe war zu teuer für Rentner. »Früher war alles besser!«, sagte der Ladenbesitzer. »Früher konnte man in der Gneisenau auch noch nachts um drei spazieren gehen. Heute muss man schon um Achte aufpassen, dass man nicht wegen nem Handy glatt erschlagen wird! «, sagte der mit der BZ. »Wir hatten einen Gemeinschaftskeller, 20 Jahre lang stand die Tür offen, ein Werkzeugschuppen für alle. Jetzt waren Polen im Haus. Und plötzlich waren alle Maschinen weg. Jetzt ist der Keller zu!« Der Herr D. mochte diese Gespräche nicht, in denen hinter jeder Räubergeschichte doch wieder nur ein Pole, ein Türke oder ein Asylant steckte. »Die größten Verbrecher sind die Banken.«, sagte er. »Ja klar!«, sagte mit der BZ, »aber die Kleinkriminellen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Da drüben, in dem Café, haben sie der Besitzerin das Sparschwein vom Tresen weg geklaut. Ich meine, die wissen ganz genau, dass das ihr Trinkgeld ist. Die plaudern nett, lächeln, schauen dir in die Augen, und dann nehmen sie dir das Trinkgeld mit. Die bestehlen doch ihresgleichen, nicht irgendeine fremde Bank!« Der Ladenbesitzer sagte: »Ich hab doch ne Videokamera. Ihr glaubt nicht, wer hier alles was aus dem Regal mitgehen lässt. Das sind die Nachbarn aus der Straße, Leute mit Geld, Frauen, die ein Haus weiter wohnen. Keine Türken. Und dann zeig ich denen das Video, und die behaupten, dass sie das nicht gewesen wären. Leute, mit denen du jeden Tag quatschst! Ich mein, das nehm ich persönlich.« Um zu vermeiden, dass der BZ-Leser jetzt doch noch eine Geschichte vom Araberclan und der Türkenmafia auskramte, erzählte der Herr D. die Geschichte mit den Zwiebeln. »Ich geh seit Jahren in die Markthalle, wenn mir mal eine Tomate fehlt, zu dem Stand gegenüber vom Schuhmacher. Ich grüße freundlich und sag, er soll mir zwei Zwiebeln einpacken! Ich schau ihm nicht auf die Finger, als er die aussucht, man kennt sich ja. Das ist Vertrauenssache. Wir sind Nachbarn! Doch zuhause merke ich, dass er mir eine faule Zwiebel eingepackt hat. Das ist dumm und dreist!« Der Getränkeverkäufer gab ihm recht: »Ich habe immer ein Faible gehabt für clevere Gauner, und wenn einer eine hundert Kilo schwere Goldmünze aus dem Museum klaut, find ich das OK. Es geht ja nicht darum, wieviel einer klaut, sondern wen er beklaut. Das ist Gaunermoral. Aber die Gauner sind eben auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die haben keine Moral mehr!« • |