Kreuzberger Chronik
Mai 2017 - Ausgabe 189

Strassen, Häuser, Höfe

Die Schlesische Straße Nr. 13


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von Werner von Westhafen

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Es heißt, es sei das älteste Haus Kreuzbergs.


Gäbe es die Bartholdische Meierei noch, jenes sagenhaft große Landgut, das sich der Bürgermeister Bartholdi 1686 vor dem Schlesischen Tor zulegte, dann würde das Haus an der Schlesischen Straße Nummer 13 genau an der Grenze dieses Landsitzes stehen, der sich von hier aus bis zum Lohmühlengraben erstreckte, und dessen Expansionsdrang im Norden nur noch von der Spree, und im Süden nur noch vom Landwehrkanal aufgehalten werden konnte.

Die Gegend vor dem alten Stadttor war noch freies Land, keine Zollmauer behinderte den Blick, die Schlesische Straße war noch auf keiner Karte eingezeichnet. Der Weg, der sich zwischen alten Gärten und kleinen Gartenhäusern bis zum Schlesischen Busch schlängelte, in dem sich allerlei Gesindel herumgetrieben haben soll, wurde von den Berlinern schlicht nach seiner Lage »Vor dem Schlesischen Tor« benannt. Die Häuser der Bauern und Gärtner lagen alle auf der südlichen Seite des Weges, hinter ihnen erstreckten sie schmalen Äcker, Wiesen und Gärten bis zum Landwehrgraben, der ebenso wie die Schlesische Straße noch keine gerade Linie war, sondern ein sich durch die Wiesen schlängelnder Wasserlauf.

Mit der Bewirtschaftung durch den Großbauern Bartholdi entstanden neben den noch mit Stroh und Reet gedeckten Hütten kleiner Gärtner schon etwas stattlichere Gartenhäuser, im 18. Jahrhundert siedelten sich Färber und Stoffdrucker in der Gegend an, die auf den ungenutzten Uferwiesen der Spree ihre Stoffe in der Sonne bleichten. Aber erst während des großen Aufschwungs der Gründerzeit im 19. Jahrhunderts bauten erfolgreiche Großindustrielle und erste Grundstücksspekulanten wie der Stadtrat de Cuvry, Heckmann oder der kleine Sprit- und Zuckerbaron Habel ihre Villen an den Rand der allmählich schon breiter und zielstrebiger gewordenen Schlesischen Straße. Nicht selten genehmigten sie sich den Luxus großer Gärten und Gartenhäuser auf der anderen Seite der Straße.

Das gegenwärtige Haus mit der Nummer 13 ist das einzige, das noch an die ehemaligen Landhäuser erinnert. Das 1827 von einem Maurer namens Radicke »an der Peripherie Berlins« gebaute Bauernhaus erhielt 1852 durch den Zuckerfabrikanten Habel ein zweites Stockwerk und einen Seitenflügel, später sogar ein Quergebäude.

Besitzer des kleinen Häuschens war der Zuckerbaron F.W. Habel, der schon in der Nähe auf einem Grundstück de Cuvrys eine seiner acht Zuckersiedereien eingerichtet hatte und auf der anderen Seite der Schlesischen Straße, auf den Grundstücken Nr. 18 und 20, Zucker kochte. Es gibt Quellen, die berichten, dass auch im Seitenflügel des Hauses mit der heutigen Nummer 13 Zucker fabriziert wurde. Sicher ist, dass 1870 der Schnapsbrenner C.A.F. Kahlbaum die Habelsche
Foto: Kreuzberg Museum
Zuckersiederei »mit malerischen Gewölben und ausgedehnten Lagerräumen« übernahm, um die beim Destillieren anfallenden Nebenprodukte zu Chemikalien weiter zu verarbeiten. Das Geschäft florierte, unablässig brodelte und dampfte es, bis sich die Anwohnerproteste wegen »erheblichen Gestankes der Fuselöle« so häuften, dass der Enkel mit der Firma ins ferne Adlershof übersiedelte, von wo aus »etwa 1.000 Kahlbaum-Reagenzien« den Namen in alle Welt trugen.

Ende des 19. Jahrhundert waren die Zuckerbarone aus der Innenstadt verschwunden. In den Remisen, Ställen und Schuppen hinter Radickes altem Haus zogen die verschiedensten Handwerker ein. Es müssen derart viele gewesen sein, dass der Leutnant aus dem gegenüber liegenden 43. Polizeirevier eine Skizze von den verschiedenen Gewerben im Hof anlegte, um den Überblick über die Lage im Hof zu erhalten – so dicht reihte sich Werkstatt an Werkstatt.

Foto: Dieter Peters
Das Haus mit der Nummer 13 gilt heute als ältestes Haus Kreuzbergs. Etwas verloren wirkt es mit seinen zwei niedrigen Stockwerken und den altmodischen Giebelfenstern zwischen den hohen Fassaden der Mietshäuser. Man ahnt noch die alte Eingangstür zur Straße hinaus, in der Mitte zwischen je drei Fenstern rechts und links. Hinter dem Haus steht noch die steinerne Treppe, die einst in den Garten führte, und im Treppenhaus schwingt sich noch eine hölzerne, knarrende Treppe in das zweite Stockwerk des alten Landhauses hinauf. Im Hof kündet ein Schild noch von der Schuhmacherei, die sich in den Sechzigerjahren zwischen Autoreparaturwerkstätten versteckte, bis 1975 das Haus geräumt wurde, weil es als einsturzgefährdet und »für Wohnzwecke ungeeignet« geworden war

Es wäre wahrscheinlich, so wie all die alten Bauernhäuser in der Nachbarschaft auch, längst dem Erdboden gleichgemacht worden, um Platz für ein vierstöckiges Mietshaus zu schaffen, doch die 13 trotzte erfolgreich der Bauwut, bis 1987 die Internationale Bauausstellung eine Restaurierung ermöglichte. Schon 1936, als die Epa-Ag das Haus besaß und den Putz erneuern wollte, hatte Berlins Provinzialkonservator den geschichtlichen Wert des Gebäudes erkannt und auf die Wiederherstellung der alten Fassade bestanden. Zwar sind im Lauf der vielen Jahre Seitenflügel und Quergebäude zerstört und abgerissen worden, doch das Wohnhaus selbst, die Keimzelle der Nummer 13, hat alle Kriege unbeschadet überstanden. •


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