März 2017 - Ausgabe 187
Geschichten & Geschichte
Victorias Sohn von Werner von Westhafen |
Die Geburt des letzten deutschen Kaisers Was genau geschah in der Nacht vom 26. zum 27. Januar blieb für lange Zeit ein verdunkeltes Kapitel in der Geschichte der Hohenzollern. Erst die bewegenden Dokumente aus den »Royal Archives of Windsor« ließen später erahnen, was die Prinzessin, die dem Park am Kreuzberg ihren Namen gab, in jener Nacht des Jahres 1859 im Kronprinzenpalais Unter den Linden erlitten hat. Queen Victoria wäre am liebsten persönlich angereist, um ihrer achtzehnjährigen Tochter bei der Geburt des künftigen Kaisers beizustehen. Vielleicht hatte sie Vorahnungen, vielleicht misstraute sie aber auch nur den preußischen Ärzten, als sie Sir James Clark, ihren Leibarzt, und Mrs. Innocent, die königliche Hebamme, mit einem Fläschchen Chloroform ausgerüstet nach Berlin schickte. Von preußischer Seite war Dr. Wegner, der Leibarzt des Prinzenpaares, samt seiner liebsten Hebamme, dem Fräulein Stahl, angetreten. Auch der Berliner Prof. Dr. Lukas Schönlein, Entdecker des kleinen Schimmelpilzes mit dem schönen Namen »Achorion Schoenleinii« und Namenspatron einer Kreuzberger Straße, war anwesend. Komplettiert wurde die Runde von den Gräfinnen Blücher und Maltzan, die den Hebammen mit nützlichen Handgriffen zur Seite stehen sollten. Ungewöhnlich an der kleinen Gesellschaft war die Gegenwart von Prinz Friedrich. Er bestand darauf, seiner »Vicky« auch in dieser schweren Stunde zur Seite zu stehen – auch wenn es üblich war, dass sich die Herren bei diesen Gelegenheiten mit Zigarren und Freunden ins Billardzimmer zurückzogen. Der Brief, den der Prinz zwei Tage später an das englische Königshaus sandte, ist eines der aufschlussreichsten Dokumente, die im Hause Windsor lange unter Verschluss gehalten wurden. Friedrich schreibt, dass »Vicky kurz vor Mitternacht in der Nacht vom 26. zum 27. (....) heftige Schmerzen und bald auch Feuchtigkeit empfand« , weshalb er »Mrs. Innocent herbeirief.« Nach und nach trafen dann auch die anderen Zaungäste ein, und »etwa um ½3 Uhr Nachts begab sich Vicky in´s Schlaf-Zimmer, das mittlerweile zur großen Entscheidung vorbereitet worden war.« Doch auch jetzt fand sie keine Ruhe, erst um 9 Uhr »legte sie sich zu Bett, gerade an der Stelle wo Papa geboren ward«. Als Dr. Wegner Victoria endlich untersuchen konnte, musste er feststellen, »daß die Lage des Kindes nicht die normalmäßigste war.« In aller Eile schickte man nach Professor Martin, dem Berliner Ordinarius für Frauenheilkunde. Martin schreibt in seinem »Bericht über die Entbindung Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Prinzessin Friedrich Wilhelm Princess royal von Großbritannien« , dass das Kind sich in der Steißlage befand und die Wehen der Prinzessin »sehr schmerzhaft und doch wenig wirksam waren«. Der Arzt entschloss sich zu einer ersten Dosis Chloroform, »welche auch die hohe Erregung der Frau Prinzessin bald milderten. Dennoch klagte Ihre Königliche Hoheit so oft als die mäßige Betäubung nachließ, über ungewöhnliche heftige Schmerzen«. Friedrich beschreibt »das entsetzliche Schreien und Jammern Vicky´s, die jedoch stets, wenn eine Pause eintrat, Alle um Verzeihung bat, daß sie so schrie oder Ungeduld zu zeigen schiene.« Er schreibt, welche Kräfte die kleine Prinzessin entwickelte, dass ihm »noch heute [am 29. Januar] die Arme ganz lahm« sind. Wie er ihr »zur Vermeidung des Zähneknirschens u. Beissens ein Schnupftuch in den Mund steckte«, er ihr »mit aller Gewalt die Finger aus dem Mund reissen« musste. »Mit Riesenstärke stieß sie zuweilen 2 Personen von sich, u. so steigerten sich die entsetzlichen Qualen bis die Entscheidung so nahe war, daß nun völlige Betäubung mit Chloroform vorgenommen ward. Ein entsetzlicher langer Schrei, u. nun ward sie betäubt«. Endlich, nach dreizehn Stunden, beginnt Professor Martin »unter dem Flanellrock mit aller Kraft zu arbeiten« , versucht, das Kind in eine günstigere Lage zu bringen, gibt der ohnehin schon leblosen Prinzessin noch eine Dosis Chloroform, bis endlich, mit dem Steiß voran, die Beine vor dem Bauch hochgeschlagen, der Thronfolger zur Welt kommt. Dann konzentriert man sich wieder auf die bewusstlose Kronprinzessin. Nur dem Fräulein Stahl, der preußischen Hebamme, fällt plötzlich auf, dass »das Kind noch nicht einen Schrei von sich gegeben hat!« Stolz schildert das Fräulein Stahl, wie sie versuchte, »das Kind zum Leben zu bringen», und wie sie, als alles nichts half, zum Entsetzen sämtlicher Anwesender »das junge Königskind unter den linken Arm» klemmte und mit der Rechten und einem nassen Handtuch »nach heimischer Sitte zu bearbeiten« begann. Die Ärzte protestierten, doch sie schlug weiter, »bald sanfter, bald stärker, klapp, klapp, klapp«, bis schließlich »ein schwacher Schrei von den bleichen Lippen des Kindes kam«. Sie hatte den Prinzen »vom Grabe gerettet, für das er bestimmt war«. Niemand im Nebenzimmer hatte mehr daran geglaubt. Dr. Wegner schrieb, das Kind sei »bereits asphyctisch« gewesen, Prof. Martin hielt es für »im höchsten Grade scheintodt«. Jetzt sahen alle ein ein gutes Omen darin, dass das Kind gerettet war. Doch schon bald zeigte sich, dass der kleine Prinz die Strapazen nicht unbeschadet überstanden hatte: Der linke Arm war leblos, der Kopf saß schief. Jahrelang trug Wilhelm eine Kopfstreckmaschine, und sein Arm wurde im Kadaver eines frisch geschossenen Hasen gebadet, um auch ihm Leben einzuhauchen. |