Kreuzberger Chronik
März 2017 - Ausgabe 187

Essen, Trinken, Rauchen

Sas geht zu Tante Lisbeth


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von Saskia Vogel

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Sas hat Gesellschaften immer gehasst. Mit Leuten in einer Runde zu sitzen, nur um ihre Monologe zu ertragen, das war nichts für sie. In Gemeinschaft fühlte sie sich einsam, das Stimmengewirr großer Tischrunden führte bei ihr nur zu Reizüberflutung. Sie fühlte sich mit Gruppen nicht verbunden.

Ihr Traum: An der Gemeinschaft nur unsichtbar teilzunehmen, ohne zu sozialer Interaktion gezwungen zu sein. Im »Tante Lisbeth« könnte Sas´ Traum in Erfüllung gehen. Sie thront auf einem hohen Hocker hoch über der Menschenmenge. Keine Kellnerin belästigt sie und ihre Kirschschorle, denn man bedient sich selbst. Rauchschwaden umhüllen Sas´ Gesicht, auch die aufdringlichen Blicke der Männer haben keine Chance.

Dabei ist »Tante Lisbeth« eigentlich eine Trinkkneipe, in der man mal so richtig labern kann. Riesige Sitzgruppen aus Omas Zeiten in großzügigen Sälen mit Holz und rohem Mauerwerk. Kein geschäumtes Schnickschnack-Heißgetränk, dafür aber eine ausführliche Alkoholkarte. Es gibt sogar eine Kegelbahn, in der man mit bis zu 20 Personen keine Sekunde allein ist. Namen wie »Tante Lisbeth« sollen Gemütlichkeit, eine familiäre Atmosphäre, ein vertrautes Gemeinschaftsgefühl vermitteln, wie es neu Zugezogene in der Ferne Kreuzbergs vielleicht brauchen. Doch »Tante Lisbeth« bietet kein geschütztes Stübchen für Kleinfamilien und Einzelgängerkätzchen wie Sas. Die Kneipe in der Muskauer Straße ist eher etwas für gestandene Smalltalker, Socializer und deren Follower.

Riesige Freundes- und Kollegenkreise haben sich hier schwadronierend zum Bier zusammengerottet, der Geräuschpegel schwillt an, kreischende Spitzen – meist auf Englisch – reißen Sas aus ihrer Introversion: »That´s a pretty mess!!!« Sas ist heilfroh, nicht gezwungen zu sein, die »amazing story« der betrunkenen Britin auch nur annähernd spannend zu finden. Eine Konversation mit ihr würde Sas nur Kopfschmerzen verursachen. Nur unter Zwang würde sie lächeln, womöglich gequält mitkreischen und dann eine eigene »awesome story« herunterleiern. Soziale Kommunikation überfordert Sas. Der einzige Fluchtpunkt: Das Klo!

Doch auch auf dem stillen Örtchen ist es nicht still. Deutlich nimmt Sas die Piesel- und Hochziehgeräusche der Dame in der Nachbarkabine wahr. Die Spülung rauscht, ein Vers wird geschmettert, dann trifft Sas die Intimfreundin mit dem fettigen Wuschelkopf vor dem Spiegel. Gemeinsam wäscht man sich die Hände, lächelt sich an und holt sich womöglich gleich zusammen ein Bier. Und das, obwohl man weiß, dass die eine schwallartig, die andere tröpfchenweise ihren Bach erledigt? »Puh Bähhh« , denkt Sas und schüttelt sich. Dann verschwindet sie auf Nimmerwiedersehen unter ihre Tarnkappe. •


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