März 2017 - Ausgabe 187
Reportagen, Gespräche, Interviews
Stadtoasen (2): Die Gärten am See von Hans W. Korfmann |
Als der Flughafen von Tempelhof schloss, hängten die Gärtner jenseits des Damms die ersten Transparente auf. Denn die Entwürfe der Stadtplaner sahen nicht nur auf dem Flughafen, sondern auch dort Neubauten vor, wo gerade ihre Gärten blühten. Foto: Dieter Peters
»Ich hab hier rund fünfzig Vogelhäuser aufgehängt, davon zehn Nistplätze für Stare, und die brüten gleich zweimal, jedes Mal vier, das sind acht Jungvögel im Jahr. Wenn ich mir ausrechne, wie viele Vögel hier geschlüpft sind, und wie viele Nachkommen die inzwischen haben, dann sind das Zig-Tausende.« Vor 40 Jahren hat Kurpiers sein erstes Vogelhaus am See aufgehängt, der im Innern der alten Radrennbahn entstand, als man das viele Regenwasser des Flugfeldes in die ehemalige Sportstätte jenseits des Columbiadamms leitete. In den Zeiten des Wirtschaftswunders verschwanden Kohl, Kartoffel und der nächtliche Wachschutz zur Abwehr von Mundräubern. Blumen, Erdbeeren und Liegestühle machten sich breit, und die ehemaligen Kolonisten, die einst täglich im Garten waren, kamen nur noch am Wochenende. Die Gärten am See wurden zur Großstadtoase, zu einer »Insel der grünen Ruhe« . Doch 2010 sorgten die Bebauungspläne für das Tempelhofer Feld für Unruhe inmitten der grünen Idylle: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte Architekten zu einem Wettbewerb eingeladen, bei dem sie nicht nur Pläne für das so genannte Columbiaquartier auf dem eigens dafür stillgelegten Flughafen, sondern auch für die Tempelhofer Terrassen und das Lilienthalquartier jenseits des Columbiadamms entwerfen sollten. So kam es, dass dort, wo einst bunte Blumen und duftende Obstbäume die Aufmerksamkeit vorüberfliegender Bienen und Hummeln auf sich zogen, plötzlich schwarzweiße Transparente die Aufmerksamkeit passierender Fußgänger auf sich lenkten. Aus friedlich zurückgezogenen Kleingärtnern wurden großstädtische Revoluzzer, die »Hände weg vom Gartengrün!« und »Senat will Beton statt Garten!« plakatierten. Eher sachlich teilte der diplomatische Vorstand der Kolonie, Wolfgang Hahn, seinen Vereinsmitgliedern mit, dass bereits »ein Flächennutzungsänderungsverfahren eingeleitet« worden sei, »das erhebliche Konsequenzen für unsere Kolonie hat. Danach soll die bisherige Nutzung als Grün- und Erholungsfläche zum Bauerwartungsland geändert werden«. Die Vereinsmitglieder zeigten weniger Diplomatieverständnis und schimpften über Stadtplaner, »deren Hirne von kurzfristigen Verkaufserlösen oder eitlen Bauklötzern vernagelt« seien. Sie beklagten, dass »immer mehr solcher innerstädtischen grünen und soziokulturellen Oasen geschlossen und überbaut« werden, und dass man »als innerstädtische Familie geradezu ins Auto gedrängt« werde, um ins Grüne zu gelangen. Das Protestschreiben schloss mit dem Fazit: Wer davon träume, »dass Einwohner von Wohnquartieren zu Bürgern werden, die ein Gemeinwesen mit sozial verträglichem Leben erfüllen sollen, müsse in seinen Planungen hierfür auch einen Platz vorsehen«. Das Tempelhofer Feld mit seinen angrenzenden Schrebergärten sei ein solcher Freiraum. Die Argumente der Gärtner machen deutlich: Der Streit um Tomatenstauden, Apfelbäume und Rosenbeete am Columbiadamm ist kein Kreuzberger Lokalproblem, er ist Teil einer stadtweiten Diskussion. 22 Gartenkolonien sind derzeit von Bebauung bedroht, da ihr Bestandsschutz bereits ausgelaufen ist. Sie heißen Kuckucksheim, Rübezahl oder Treptows Ruh und haben sich in mehr als 60 Jahren von öden Nachkriegsbrachen zu respektablen Gartenanlagen entwickelt. Die Kolonie am Flughafen ist eine der idyllischsten, selbst die einstige Stadtsenatorin Junge-Reyer musste eingestehen: »Sie haben es wunderschön hier, wie in einer kleinen Rückzugsoase.« Im Nachbarschaftsheim an der Urbanstraße kam es zur Aussprache zwischen Gärtnern und Politikern. Vielleicht hatte der Vorstand der Kolonie am Flughafen einen gewissen Heimvorteil, viele Jahre stand Wolfgang Hahn dem Haus an der Urbanstraße als Leiter vor. Er hatte Erfahrung in der Kommunikation mit Ämtern, und es gelang, den Verantwortlichen zumindest die mündliche Zusicherung abzuringen, dass eine Änderung des Flächennutzungsplanes und eine Umwidmung von Grünland in Bauland nicht in Frage käme. Damoklesschwert über der Siedlung ist nicht der Bezirk, sondern der Bund, dem der grüne Uferstreifen des Sees bis heute gehört. Und der möchte nur eines: Geld! 2013 gründeten die Gärtner deshalb in ausgedehnten Vereinssitzungen eine Genossenschaft, um das Grundstück selbst zu kaufen und vor fremden Investoren und der Bebauung zu retten. Sie ließen ein Verkehrswertgutachten erstellen, hinterlegten das notwendige Kapital auf einem Treuhandkonto und machten sich auf den Weg in die Fasanenstraße, wo man das Kaufanliegen der Schrebergärtner »eher gnädig zur Kenntnis« als ernst nahm. Seit Jahren erhalten die Kolonisten auf ihre Anfragen bei der Bundesananstalt für Immobilienaufgaben die Antwort, das »Grundstück stehe momentan noch nicht im Verkaufskatalog«. 2018 aber soll es so weit sein. Dann wird es zur Entscheidung kommen. Weil sich jedoch bis dahin vielleicht wirklich noch der vom Bund ersehnte Investor findet, der finanzkräftig und mutig genug ist, es mit den Gärtnern aufzunehmen, haben die Kolonisten kürzlich sogar den Plänen der SPD zugestimmt, die im alten Regenauffangbecken, das kurioserweise dem Bezirk und nicht dem Bund gehört, zwei Sportplätze bauen möchte. Obwohl so ein Fußballmatch den Gartenfrieden erheblich stören könnte. »Aber die beiden Sportplätze würden das Gebiet für andere Interessenten unbrauchbar machen«, sie wären ein Bollwerk gegen die Spekulanten des Bundes. »Und was« , fragte kürzlich ein verschmitzter Kritiker die Gärtner, »macht ihr eigentlich, wenn ihr dieses Filetstück tatsächlich bekommt?« - »Wir bauen natürlich sofort fünfstöckige Luxusapartments« , zwinkerte Hahn und verwies auf eine Klausel in den Statuten der Genossenschaft. Dort ist festgeschrieben, dass im unwahrscheinlichen Falle eines Verkaufes der Gewinn dem Bezirk »zur Förderung des urbanen Gärtnerns in Kreuzberg-Friedrichshain« zufließt. |