Kreuzberger Chronik
März 2017 - Ausgabe 187

Kanzlei Hilfreich

Tage des Zweifels


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von Kajo Frings

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Jens Hilfreich war geduldig. Doch es gab Tage, an denen er lieber ein Maurer als ein Anwalt gewesen wäre.

Manchmal reichte es ihm. Da fragte sich Jens Hilfreich, ob er eigentlich ein Honorar oder Schmerzensgeld für seine Arbeit verlangen sollte. Da war zum Beispiel die Mutter, die ihre Tochter Janna aus dem Haus geworfen hatte, weil diese verlogen, gemein und schmutzig gewesen sei. Jetzt verleumdete die Tochter auch noch Harald, den langjährigen Geliebten der Mutter. Jens Hilfreich hörte sich das alles an und meinte, dass es doch sehr ungewöhnlich sei, wenn ein junges Mädchen plötzlich nicht mehr die Toilette im Bad, sondern den Papierkorb in ihrem Schlafzimmer benutzte. Ob sie schon einmal daran gedacht habe, dass dieser Harald Janna zu nahe gekommen sein könnte, wenn diese im Bad war? Eine »Unverschämtheit« sei das, ob der Anwalt »jetzt auf der Seite der Täterin« stünde? Die Tochter habe mal die Schule geschwänzt, und als Harald das mitbekommen habe, sei er so nett gewesen, ihr eine Entschuldigung zu schreiben. Und jetzt gäbe es ein Ermittlungsverfahren wegen der Lügengeschichten, die sie überall rumerzählt. Und Katja, die Kleine, verhalte sich auch schon ganz feindselig gegenüber Harald. Jens lehnte ab, ein Kontaktverbot für Janna zu beantragen und Harald zu verteidigen. Vielleicht hätte er sonst ein Plädoyer gehalten wie Al Pacino in Und Gerechtigkeit für alle: »Mein Mandant ist schuldig.«

- Und dann diese Ehefrau mit den alten Narben und den frischen Prellungen, die fragte, ob sie sich scheiden lassen solle. Sie sei ja nur eine gelernte Krankenpflegerin und er ein renommierter Sparkassenleiter. Er habe ihr gesagt, im Falle der Scheidung bekäme er die Kinder und sie keinen Pfennig Unterhalt. Aber die Kinder seien ihr doch das Wichtigste. Jens inspizierte die Wohnung, es war immer gut, vorher zu wissen, was das Jugendamt in den Hausbesuchungsbericht schreiben würde. Es gab nichts zu meckern: eine Fünf-Zimmer-Wohnung am Paul-Lincke-Ufer, genug Platz für Kinder und Hund. Die Tochter im Jung-Mädchen-Schlafzimmer, der Sohn im Zimmer mit Doppelstockbett. »Mein Sohn schläft oben«, sagte die Mandantin. »Und wer schläft unten?« - »Na ja, wenn er betrunken nach Hause kommt, wird er manchmal aggressiv, und dann hab ich immer die Schuld an allem. Dann ist er ein anderer Mensch. Aber wenn ich mich unten ins Stockbett lege und an die Wand drücke, dann erreicht er mich nicht, wenn er mich treten will .... Aber sonst ist er wirklich sehr nett .......«

- Ach ja, und dann noch dieser Mann, der das Gericht verklagen wollte, weil es einen Erbschein nach seiner Mutter ausgestellt hatte, obwohl noch gar nicht bewiesen war, dass sie tot ist. Jens fragte, wo sich denn die Mutter aufhalte. Als Antwort überreichte ihm der Mann einen Zettel. »Ich hab‘s notiert, sie lebt in...« Und auf dem Zettel stand: »Kognito«. Es gab eben solche Tage, da reichte es ganz einfach. •


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