März 2017 - Ausgabe 187
Herr D.
Der Herr D. möchte photografieren von Hans W. Korfmann |
Wie ein Traktor den Herrn D. verfolgt. Der Herr D. hatte genug Filme aus dem 2. Weltkrieg gesehen. Die Hakenkreuze auf den Uniformen brachten ihn zum Gähnen, friedlich schlief er beim Geräusch krachender Gewehrsalven vor dem Fernseher ein. Erst beim Getöse des Bombergeschwaders über Berlin erwachte er wieder. Es war acht Uhr morgens, und das Geräusch kam nicht aus dem Fernsehlautsprecher, es kam vom Friedhof, wo die Gärtner sich gerade die Ohrschützer übergestülpt und die Maschinen angeworfen hatten. Der Herr D. trat ans Fenster und sah, dass die Bäume und die Wiesen des Friedhofs weiß vom Reif waren. Als wenig später die Sonne in die Zweige fiel und alles glitzerte, nahm er die alte Kamera und machte sich auf den Weg. Er war noch tief in diese Welt aus Licht und Natur vertieft, als plötzlich hinter ihm der Motor ansprang. Der Herr D. wollte sich von dem Gärtner mit seiner Maschine nicht stören lassen und versuchte, ihn zu ignorieren, aber der schien ihm zu folgen, wohin der Herr D. sein Augenmerk auch richtete. Hinter einem Baum blieb der Fotograf stehen und beobachtete eine Weile den kleinen Traktor, der von Wasserstelle zu Wasserstelle fuhr. Der Fahrer stieg ab und inspizierte einen Wasserhahn. Bei laufendem Motor. Dann fuhr er weiter zum nächsten. Als er sah, dass der Herr D. ihn beobachtete, ließ er den Traktor stehen, mit laufendem Motor, kam auf ihn zu und nahm die Ohrschützer ab: »Darf ich fragen, was Sie hier fotografieren?«, fragte der Mann. Der Herr D., nichts Gutes ahnend, sagte: »Mein Freund liegt hier. Aber sagen Sie mir doch mal, warum Sie immer den Motor laufen lassen! Wie wäre es mit ein bisschen Friedhofsruhe!« – »Das ist besser für die Maschine!« – »Aha. Für die Maschine. Für mich ist es aber besser, wenn Sie die Maschine ausmachen. Sie wecken mich jeden Morgen. Und für Sie wäre es auch besser, wenn Sie mal ein paar Schritte laufen würden, als von Brunnen zu Brunnen zu fahren.« – »Das Fotografieren ist verboten.« – Der Herr D. schaute seinen Gegner ungläubig an. »Das hier ist Privatbesitz. Sie brauchen eine offizielle Fotoerlaubnis.« Der Herr D. nickte gehorsam. Und während er so durch die Winterlandschaft spazierte, sich hinter Grabsteine duckte, um den in der Sonne aufleuchtenden Zweig einer Lärche zu fotografieren, während er die vom Reif überzogenen Rosen auf dem Grab des Freundes fotografierte, wurde er das Gefühl nicht los, dass ihn der Traktor verfolgte. Er hörte ihn mal ein bisschen weiter rechts, mal weiter links. Erst als er oben an der Jüterboger Straße war, dort, wo sie demnächst die alten Bäume fällen und Häuser bauen wollten, verstand er, warum das Fotografieren auf dem Friedhof neuerdings verboten war. Dort stand ein großer LKW, um mit einem Kran die sterblichen Überreste der bereits gefallenen Stämme möglichst unauffällig zu entfernen. • |