Kreuzberger Chronik
Juli 2017 - Ausgabe 191

Geschäfte

Zeiten der Trendwende


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von Horst Unsold

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Kuddel ist in Berlin geboren. Im Emsland wurde er Tischler. Jetzt ist er zurück in Berlin und ein Spezialist für Dielenböden.


Der Name hält nicht, was er verspricht. Denn trendy ist gar nichts, wenn man vor der Hofeinfahrt der Nummer 2 steht, vor diesem hohen Scheunentor und dem selbstgezimmerten Briefkasten der Firma. Eher vermutet man einen zerzausten Kohlehändler oder einen schwarzfingrigen Nachkriegsautoschrauber in dem verschlossenen Hof, der entstand, als das Haus mit der Nummer 2 von Bomben getroffen wurde und aus dem Straßenbild verschwand. Und nie wieder aufgebaut wurde, weil der Besitzer drüben im Osten war und nicht mehr so einfach in den Westen durfte. Deshalb hängt an der schmucklosen Mauer zur Straße noch kein modernes Ladenschild, sondern immer noch ein alter, roter und mit Aufklebern tapezierter Kaugummiautomat.

Auch hinter dem Hoftor bricht die Idylle aus alten Zeiten nicht zusammen: Vier kleine Baracken, eine zum Blumenbeet mutierte Badewanne, ein Apfelbaum und ein Birnbaum am Spalier vor der warmen Mauer, ein Stapel ausgedienter Bretter und Bohlen, vor dem auf einem Stuhl in beneidenswerter Seelenruhe Lola schlummert, die aschgraue Katze, Liebling aller Kinder der Nachbarschaft. Sie spaziert auf der Straße herum, klettert auf die Mauern und beäugt die Singvögel, die vor lauter Zutraulichkeit in der Zwischendecke des Verkaufsraumes eingezogen sind und tagsüber auf der Stromleitung, die sich wie eine Wäscheleine über den Hof schwingt, sitzen und zwitschern.

Auch der Hausherr scheint die Zeitenwende verpasst zu haben. Die Frisur stammt aus den Siebzigerjahren, das Bewusstsein aus den Achtzigern, als Geschäftsideologien noch Lebensideologien waren. Die lächelnde Gelassenheit, mit der er seiner Kundschaft entgegentritt, ist nicht im Psychoworkshop antrainiert, sondern ein Relikt aus der Jugend im Emsland. Einer Zeit mit viel Natur, viel Rebellion und einer staubigen Tischlerlehre. Schon sein Gesellenstück, ein Sekretär aus Kirsche, hat er mit Öl behandelt. Holz und Öl, das war der Trend.

Foto: Dieter Peters
»Eigentlich sagen alle nur Kuddel!« - ist kein trendiger Innenarchitekt, der zwischen Zement und Glas eine Spur Natur einbaut. Er ist auch kein veganer Bioölverkäufer - auch wenn er mit seinen Holzlasuren einige Sommer lang auf dem Ökomarkt am Chamissoplatz stand. »Ich bin mehr der Handwerker als der Verkäufer!« Deshalb ist er eigentlich auch nie da, sondern ständig unterwegs, um irgendwelche Dielenböden irgendwelcher Land- oder Stadtsitze zu restaurieren oder einzubauen. Er ist ein Spezialist für Holzböden und hat immer zu tun. Auch wenn es eigentlich ein Wunder ist, »dass es überhaupt noch unabgezogene Böden gibt in diesem Stadtviertel. Nirgends wird so viel Holz geschliffen wie in Prenzlauer Berg und Kreuzberg. Ich glaub, ich bin ein Gewinner der Gentrifizierung.«

Weil Kuddel viel unterwegs ist, war das ochsenblutfarbene Hoftor jedes Mal geschlossen, wenn Jessy auf dem Weg zu ihrer Schwester vorbeiradelte. Und weil Jessy eher die Verkäuferin als die Handwerkerin ist, überzeugte sie Kuddel davon, dass ein Laden, der etwas verkaufen wollte, auch geöffnet haben muss. Deshalb steht sie nun jeden Tag ab 14 Uhr in der Urbanstraße 2 und verkauft Öle, Wachse, Farben, Kalkputz, Lehmputz, Teppiche, Kork, Linoleum - alles, was der ökologische Mensch für die eigenen vier Wände heute dringend braucht: Trendwende. Natürlich basiert die Trendwende ausschließlich auf hochwertigen Naturprodukten. Sonst wäre Kuddel, der Tischler, seinerzeit nicht Stammkunde in dem Trendwende-Laden in Oldenburg geworden. Er hätte auch nicht als Verkäufer dort angefangen, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre. Und er hätte die Trendwendeleute auch nicht überredet, in Berlin, der Stadt der ewigen Bodenschleifer, eine Filiale zu eröffnen. Berlin, sagte er sich, läge voll im Trend.

Natürlich verkauft der Tischler nicht nur Öle, er kann auch Parkett und Dielen besorgen, wenn es sein muss, 10 Meter lang und einen viertel Meter breit. Zedern aus Frankreich, Kiefern aus Mecklenburg und aus dem Knüllgebirge. Und er weiß, wie man dafür sorgt, dass die knorrigen Kiefern Ruhe geben und sich nicht ständig drehen und biegen. Und wie sie nach zwanzig Jahren noch glänzen. Kuddel ist ein leidenschaftlicher Spezialist. Er kann ohne Holz nicht sein.

Jetzt hat er sich ein Floß gebaut, eine schwimmende Villa Kunterbunt, rot und blau und weiß, mit einer Terrasse, einem Zimmer und einer Küche und einer Toilette an Bord. Damit schippert er auf der Elde herum, an den Wochenenden und in den Ferien. Und wenn er keine Zeit dazu hat, weil er irgendwelche Dielen verlegen oder wieder einmal die »studentischen Fehlleistungen der Siebzigerjahre aushobeln« muss, dann verleiht er sein Floß an Urlauber. Denn Flöße liegen gerade voll im Trend. Nicht nur auf der Spree. •


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