Kreuzberger Chronik
Februar 2017 - Ausgabe 186

Kanzlei Hilfreich

Das Fräulein Beyer


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von Kajo Frings

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Das Fräulein Doris Beyer hatte Geburtstag. Der Himmel war blau, und Georg, der nette junge Mann von nebenan, zeigte ihr sein bestes Stück: eine schwarze R 1200 C, gebaut in Westberlin, ein Motorrad der Extraklasse. Er lud die junge Frau zu einer Spritztour ein nach Lübars. Sie schwang sich in ihrem Sommerkleidchen auf den Rücksitz und schlang die Arme um den Oberkörper des jungen Mannes. Zeugen sagten später aus, dass er nicht schneller als 50 km/h gefahren sei, als ein PKW von links in die Kreuzung fuhr und Fräulein Beyers linkes Bein erwischte. Die Maschine schleuderte, kippte, und der Straßenbelag zerfetzte die Haut des rechten Beines. Als Jens Hilfreich sie auf Bitten ihrer Eltern im Krankenhaus besuchte, waren die Arme verbunden und die Beine eingegipst. Der Arzt sagte etwas über Brüche, Schürfwunden, erforderliche Hauttransplantationen. Hilfreich schien besorgt, erst recht, als er erfuhr, wo der schuldige Autofahrer versichert war. Denn diese Versicherung wurde von einer Anwaltskanzlei vertreten, deren Partner er noch aus Zeiten der »Roten Zelle Jura« kannte. Exzellente Juristen, früher unterwegs mit der Parole »Dem Volke dienen«, jetzt mit dem Motto »Am Volk verdienen«. Jens blätterte in der Schmerzensgeldtabelle, die - nach Körperteilen sortiert - die Summen nannte, die von den Gerichten je nach Schwere der Verletzung zugesprochen wurden. Jens hielt 30.000 DM Schmerzensgeld noch für vertretbar. Er wollte insbesondere mit den zu erwartenden Narben im Oberschenkelbereich argumentieren, wodurch die Heiratschancen des Fräulein Beyer erheblich gesunken seien. Ganz abgesehen davon, dass sie auch in heißen Sommern keine Sommerkleidchen mehr tragen konnte. Die Versicherung antwortete kurz: »Zeigen Sie uns doch erstmal die Narben«.

Es war zur Adventszeit, als Hilfreich die Mandantin besuchte und ihr die Strategie erläuterte. Sie wohnte wieder im Haus der Eltern, die Beine immer noch im Gips. Es ging ihr gut, auch Georg war dank seiner Lederkleidung kaum verletzt worden, er hatte lediglich ein schlechtes Gewissen davongetragen und besuchte das Fräulein nun täglich.

Nach Weihnachten rief Fräulein Beyer in der Kanzlei an: »Ich hab schlechte Nachrichten: Sie müssen die Klage noch mal überarbeiten, - also... das mit den Heiratschancen... Georg und ich werden heiraten - ich erwarte ein Kind.« Jens hatte den Schreck noch nicht überwunden, als das Telefon klingelte. Die Versicherung: »Herr Hilfreich, also das bleibt jetzt unter uns: Wir haben dieses Jahr ein wenig zuviel Gewinn gemacht und könnten die nächste Prämienerhöhung schlecht verkaufen, wenn wir nicht noch dieses Jahr ein paar Ausgaben haben. Unser Vergleichsangebot: 43.000. Bedingung: Sie holen die noch heute cash in unserer Zweigstelle ab.« Jens Hilfreich griff sich die große Aktentasche und rief ein Taxi. •


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