Kreuzberger Chronik
April 2017 - Ausgabe 188

Reportagen, Gespräche, Interviews

Stadtoasen (3):
Das Tempelhofer Feld



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von Hans W. Korfmann

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Das Tempelhofer Feld Sie ist die weitaus größte Oase der Stadt. Und die begehrteste. DerFlughafen war noch in Betrieb, da wurde das Gelände bereits auf Immobilienmärkten angeboten. Ist jetzt die erste Phase der Bebauung angebrochen? Eine Ortsbesichtigung von Hans W. Korfmann

Die Romantik ist verloren gegangen. Dort, wo einst langhaarige Studenten bei Wein, Bier und Zigaretten Demonstrationen und Protestaktionen planten, diskutieren heute Bürger im Pensionsalter in juristischem Fachjargon über den Ablauf von Widerspruchsfristen. Sie kennen sich aus im kafkaesken Labyrinth der Verwaltungsapparate der Macht. Der Kampf gegen das politische Establishment wird nicht mehr mit Transparenten auf der Straße, sondern mit Paragraphen vor Gericht geführt. Die Bürgerinitiative Volksentscheid Retten!, die sich abends bei Tee und Kaffee in der Bülowstraße trifft, könnte sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht zitiert werden, denn der Senat zweifelt die Rechtmäßigkeit ihres Gesetzentwurfes an, der die Ergebnisse demokratischer Volksentscheide künftig besser vor der Willkür der Politik schützen soll.

Volksentscheid Retten! ist die Fortsetzung von 100% Tempelhofer Feld. Sie ist die logische Konsequenz aus der Niederlage einer Bürgerbewegung gegen den Senat von Berlin, der ein mit 740.000 Stimmen durch einen Volksentscheid auf den Weg gebrachtes Gesetz zum Schutz des Tempelhofer Feldes mit wenig später verabschiedeten Sonderparagraphen wieder außer Kraft setzte und die Errichtung einer Containersiedlung zur Unterbringung von Flüchtlingen erlaubte.

Die Initiative Volksentscheid Retten! übergab deshalb im Juli 2016 dem Senat eine Liste mit über 70.000 Stimmen, um ein »Volksbegehren für verbindliche, machbare und faire Volksentscheide« durchzusetzen. Doch der Senat ließ sich Zeit mit dem Zählen der Stimmen, um am Ende zu verkünden: Der Gesetzentwurf sei möglicherweise nicht verfassungskonform. Juristen verstrickten sich in
Foto: Dieter Peters
langwierigen Untersuchungen, auch im Februar 2017, nach einem halben Jahr, war noch keine Entscheidung gefallen. In der Bülowstraße glaubt man: »Die spielen auf Zeit. Die hoffen, dass wir aufgeben!« Tatsächlich waren sie schon einmal mehr, an diesem Abend sind sie nur noch fünf. Der Erfolgsrausch darüber, innerhalb weniger Monate 70.000 Unterstützerstimmen zu sammeln, ist längst verflogen.

Wie sehr der Senat auf Zeit spielt, und wie gering er eine Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung des Tempelhofer Feldes schätzt, zeigt sich auch in der Korrespondenz mit der Initiative 100% Tempelhofer Feld. Obwohl sich an jedem ersten Montag im Monat sieben Bürger aus dem Umkreis der Initiative mit vier Vertretern des Senats oder seiner Subunternehmer treffen, um über die Zukunft des Feldes zu sprechen, erfuhren sie von dem Beginn der Bauarbeiten für das Flüchtlingscamp erst, als die Maschinen schon rollten. Und das, obwohl den Senatsvertretern die Pläne für die Errichtung der so genannten »Apartments« oder »Tempohomes« schon am 22. Dezember vorlagen.

Dass gebaut werden würde, war allerdings lange klar. Schon im Winter wurden neue Versorgungsleitungen gelegt. Die Männer, die im Regen Tunnel gruben und erstaunlich dicke Rohre zusammenfügten, waren übellaunig und ungesprächig. Sie wussten nicht einmal genau, wohin die neuen Leitungen führen sollten. »Wir sind nur für den Anschluss zuständig.« Aber diese Rohre, »so viel ist schon mal klar, mit denen können Sie ne ganze Stadt versorgen, so dick wie die sind.«

Foto: Dieter Peters
Von den Leitungen, die zu den Flüchtlingscontainern führen sollen und aus Denkmalschutzgründen nur überirdisch geführt werden dürfen, ist bis heute noch nichts zu sehen. Auch der Zirkus Cabuwazi soll Wasser aus dieser Leitung bekommen. Schon vor Monaten hat der Senat dem Kinder- und Jugendzirkus (Vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 126) die Genehmigung erteilt, seine Zelte neben dem Flüchtlingscamp auf dem Feld aufzuschlagen, doch die Bürgerinitiative, die sich jeden Monat mit den Planern des Senats trifft, erfuhr auch davon erst, als die Zelte bereits standen. Niemand aus dem Kreis jener, die das Feld lieber grün anstatt betongrau hätten, hat etwas gegen Flüchtlinge oder gegen den Kinderzirkus, der seit dem Fall der Mauer von einer Brache zur nächsten zieht und immer gerade so lange bleiben darf, bis ein Investor genug Geld hinlegt. Doch dass man es seitens des Senats nicht für nötig hält, die zur Gestaltung des Feldes gewählten Bürgervertreter über derartig gravierende Veränderungen der Feldlandschaft zu informieren, zeugt nicht nur von schlechtem Stil. Auch wenn Kabuwazi -anders als das versteinerte Zirkuszelt des einst alternativen Tempodroms - seine Zelte vielleicht schon bald wieder abreißen und weiterziehen muss, denn ihr Vertrag ist eng gekoppelt an den Vertrag mit den Betreibern der Flüchtlingsunterkunft. Vielleicht werden sie gemeinsam gehen, der Zirkus und die Flüchtlinge, um Platz zu machen für jene, die möglicherweise nach ihnen aus der Leitung trinken möchten: Die Besitzer und Mieter jener Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld, die Müller & Co dort einmal bauen wollten.

Denn die »Tempohomes« sind, wie schon ihr Name sagt, keine zukünftigen Wohnsitze für in Tempelhof gelandete Afrikaner, sondern nur ein Zuhause auf Zeit. Ein Provisorium. Anders als auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße, wo Fundamente aus Stahlbeton noch für das 22. Jahrhundert Fakten schaffen und Genehmigungen für die Unterbringung von Flüchtlingen bis zu 9 Jahren erlaubt sind, ist laut dem zuständigen Senatssprecher Langenbach die Unterkunft auf dem Feld tatsächlich auf drei Jahre befristet. Wovon jedoch nur zwei genutzt werden können, wenn sich der Senat an sein Gesetz hält. Denn auch nach dem nachträglich modifizierten THF-Gesetz muss das Flüchtlingscamp spätestens Anfang 2020 wieder abgebaut werden.

»20 Millionen Euro für zwei Jahre?«, fragt ungläubig die Initiative 100% Tempelhofer Feld auf ihrem Flugblatt, das zu einer Informationsveranstaltung des Senats am 22. März einlädt. Tatsächlich sind die Kosten immens, auf dem Vorfeld der Hangars wäre das alles wahrscheinlich günstiger gewesen. Deshalb besteht der Verdacht, dass die Entscheidung des Senats, das Land jenseits des Zaunes mit Flüchtlingen zu besetzen, die Folge reinen Expansionsdrangs ist.

Auch bei dem montäglichen Treffen zwischen Volk und Politik am 6. März sprach man von Besitzergreifung. Christiane Bongartz, Co-Autorin des THF-Gesetzes, sagte: »Ich sehe das Ganze als einen Angriff auf das THF-Gesetz!« Einer ihrer Mitstreiter ergänzte: »Wir gehen davon aus, dass das vorbereitende Baumaßnahmen sind.« • Jüngere Diskussionsteilnehmer baten noch relativ höflich darum, die »Wünsche der Zivilgesellschaft zu respektieren«, andere waren präziser und weitaus ungehaltener: »Das Verhalten des Senats ist vollkommen unbefriedigend. Wenn wir hier gemeinsam über die Zukunft des Feldes entscheiden sollen, und Sie uns nicht einmal darüber informieren, dass ein Zirkus aufs Feld kommt, oder wann und wo die Flüchtlinge hier einziehen, ist das keine vertrauensbildende Maßnahme.« Und Gernot Ziska, der täglich mit dem Rad seine Runde auf dem Feld dreht, sagt: »Sie verbauen in der ganzen Stadt unser Grünland. Und wir erfahren von Ihnen nicht einmal, was direkt vor unserer Nase passiert. Das hat nichts mehr mit Bürgerbeteiligung zu tun.«

Helge Weiser von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gähnt. Sascha Langenbach vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten kaut Nüsse. Auch Hendrik Brauns von der Grün Berlin GmbH befreit sein Kinn nicht aus der Handfläche, in der es seit einer halben Stunde ruht. Evelyn Bodenmeier, die vom Senat engagierte Moderatorin der Runde, schaut zuerst auf ihre Uhr, dann zu Helge Weiser. »Herr Weiser, Sie vielleicht?« Aber auch Herr Weiser gibt keine Antwort auf die dringende Frage, weshalb der Senat seine Bürger nicht über seine Bauvorhaben informiert. Weshalb er die Wünsche seiner Bürger einfach nicht ernst nehmen kann. Anders als in Talkshows, wo die Verantwortlichen aus dem unheilvollen Konglomerat aus Wirtschaft und Politik Fragen nicht beantworten, indem sie auf andere Themen ausweichen, hüllen sich die Senatsvertreter in unverblümtes Schweigen.

»Nach meiner Liste kommt jetzt Victor«, lächelt die Moderatorin.

»Es wäre nett, wenn nicht nur die Damen und Herren des Senats mit dem Zunamen angesprochen werden!«, merkt Elisabeth an. Aber das Lachen ist verhalten.

»Es ist jetzt 18 Uhr 55! Ich denke, wir haben genug geredet!«, meint Bodenmeier. »Das denke ich nicht!«, wehrt sich ein letzter junger Mann - doch da sind alle schon aufgestanden und fallen über die Senatskekse her.

Foto: Dieter Peters
Nicht weit entfernt von der gut versteckten Zollgarage, in der die montäglichen Treffen zwischen Bürgern und Politikern stattfinden, stehen jetzt die Container. Stehen da und blicken auf die glücklichen Deutschen mit ihren bunten Drachen, ihren Rennrädern, Skateboards und Inlinern auf der grünen Spielwiese: 7 Millionen Euro teure Konservenbüchsen, 14 Quadratmeter groß, ähnlich jenen, in die einige von ihnen einmal krochen, um heimlich in Europa einzureisen, ins gelobte Land. 967 weiße Container, auf die im Sommer die Sonne herabbrennen wird, auf die im Winter der Ostwind prallen wird. Wahrscheinlich wird die strahlende Freude der Einwanderer darüber, dass sie »jetzt endlich ihre Wäsche selber waschen können«, die Sascha Langenbach vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten auf ihren Gesichtern gesehen haben will, schon bald verflogen sein. •


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