April 2017 - Ausgabe 188
Kanzlei Hilfreich
Karl May und der Radfahrer von Kajo Frings |
Jens Hilfreich war kein Freund von hinterhältigen Angriffen. Erst recht nicht, wenn der Angreifer einen Fahrradhelm trug,. Der Fußgänger Karl Jessen war auf dem Bürgersteig der Fidicinstraße mit einem Fahrradfahrer kollidiert, was zum Sturz des Radlers geführt hatte. Die Anklage lautete auf Körperverletzung. Herr Jessen war ein glühender Verehrer des vor 175 Jahren geborenen Schriftstellers Karl May und der Helden Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand. An dem Abend, als er ruhig seines Fußgängerweges schritt und über die Ähnlichkeit des Wasserturms mit dem Galataturm in Konstantinopel räsonierte, erschreckte ihn der klingelnde Radfahrer derart, dass er noch im Rausch der Träumerei ausholte und den Radler auf den Boden der Tatsachen brachte. Hilfreich erinnerte sich an einen Vorfall aus der Studienzeit, als der Kommunistische Studentenverband einen Vorlesungsstreik ausgerufen hatte. Um den durchzusetzen, ergriff gleich zu Vorlesungsbeginn eine Studentin das Mikrofon, das sie auch nicht mehr aus der Hand zu geben gedachte. Professor Lerche, der bei dem Grundgesetzkommentator und heimlichen Autor der Deutschen Nationalzeitung Theodor Maunz studiert hatte, beendete die Störung seiner Vorlesung, indem er die Polizei rief. Eine Studentin wurde abgeführt, erhielt Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs und hatte später Probleme, in den Staatsdienst zu gelangen. Zwei Hörsäle weiter versuchte ein schmächtiger Student, die Strafrechtsvorlesung von Professor Dr. Claus Roxin zu verhindern. Roxin war Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft, es war schlicht unter seiner Würde, die Staatsgewalt zu Hilfe zu rufen. Er setzte nicht seine Schmetterhand ein, sondern schlang vor versammelter Hörerschaft seinen Arm um den Hals des Störers und trug ihn hinaus. Keine Strafanzeige, kein Strafverfahren.* Jens Hilfreich erwachte aus seinen Gedanken. Herr Jessen ereiferte sich: »Es war Abend, der Radler musste kein Kleinkind zur Schule bringen oder abholen. Der hätte auf der Straße fahren müssen.« - »Aber da ist Kopfsteinpflaster, vielleicht hatte der ein empfindliches Gemächt!«, wandte Hilfreich ein. »Weichei!«, erwiderte Jessen. Der Anwalt plädierte auf Notwehr und erläuterte, dass selbst Winnetou es nicht hingenommen hätte, wenn ein »Indianer, der das Leben seiner Roten Brüder nicht zu schonen pflegte«, sich hinterrücks anschleicht. Er beendete sein Plädoyer mit den Worten: »Ein behelmter Fahrradfahrer auf dem Gehsteig ist so etwas wie ein bemalter Kiowa auf dem Kriegspfad.« Der Richter sah ein, dass der Fahrradfahrer eine strafbare Nötigung begangen hatte und außerdem »nach der Gesamtwürdigung der Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände vorliegen, die eine Verhängung der Strafe entbehrlich machen.« * PS: Der ehemalige Student ist mittlerweile Rechtsanwalt und Karl May und Professor Roxin bis heute dankbar. • |