April 2017 - Ausgabe 188
Geschäfte
Ansichten vom Paradies von Saskia Vogel |
Früher gab es Trödelläden in feuchten Kellern. Heute gibt es Vintage-Stores mit Marmorböden. Und es gibt das Paradies am Kotti. Es ist kalt und nass am Kotti. Und es riecht etwas nach Schwarzpulver, nach aufgequollenen Böllerresten und grauen Pappkadavern im Rinnstein. Aber das Paradies ist nicht weit, ein paar Schritte nur bis zur Adalbertstraße. Da versteckt sich das Second Hand Shop Paradies. Mit Modeschlagern der 60er, 70er und 80er. Und mit ein paar alten Platten im Schaufenster, die keiner mehr haben will, mit Liedern von Theodorakis und Foto: Dieter Peters
Der Second Hand Paradise Shop ist kein neumodischer Vintage-Laden in der Bergmannstraße, in dem eine Bluse - obwohl sie nur billiger Polyester-Plunder ist - nach drei Jahrzehnten auch drei mal so viel kostet wie vor drei Jahrzehnten. Weil irgendein selbsternannter »Fashion-Profi« die Bluse zum »stylishen Vintage« erklärt hat und in seinem »Showroom« präsentiert, für den er pro Quadratmeter 30 Euro im Monat bezahlen muss. Das »Paradies« ist anders. Der Paradise Shop ist ein Second-Hand-Laden alter Schule. Einer dieser Läden, in denen es immer kalt und klamm ist, in denen einem jedes Mal die Füße einfrieren, obwohl immer ein dicker weinroter Teppich auf dem Boden liegt. In denen es nach muffigem Pelz und altem Leder riecht, nach feuchten Pappkartons mit Bundeswehrturnschuhen und Plastikgürteln. Es ist einer dieser Läden, deren Besitzer die Nachmittage ihres Lebens schweigend zwischen alten Abendkleidern verbringen, um über die Zeit, die Goldringe und die Flokatimäntel zu wachen. Regen klatscht ans Schaufenster und versucht, die Buchstaben aus roter und blauer Klebefolie von der Scheibe zu lösen, die vom Paradies künden. Es ist kein eleganter Schriftzug, kein modernes Logo, das da an der Scheibe klebt. An der Kasse sitzt auch keine junge, quirlige Frau, sondern eine ältere Dame. Schweigend sitzt sie, eingepackt in eine dicke Strickweste über einer dicken Wolljoppe, am Kassentresen und verpuzzelt die Zeit. Es ist ein bisschen fußkalt im Paradies, und wenn es draußen friert oder schneit, dann stellt sie sich einen Heizlüfter vor ihre Füße. Die alte Dame spricht nicht viel, es sei denn, es kommt jemand, der diese alte slawische Sprache noch spricht. Ein Laden, sagt sie, sei eben ein Laden. Da müsse man eben den ganzen Tag herumsitzen. Aber langweilig sei es nie. Dann schweigt sie wieder. Das Schaufenster im Paradies ist voller spitzer Lederstiefel aus den Achtzigern. Die waren nicht unpraktisch, der Absatz niedrig, der Schaft weit, passten zu Jeans genau so wie zu Röcken, ohne dass es jemals damenhaft gewirkt hätte. Die Stiefel im Fenster nehmen dem Laden noch das letzte Licht. Im schummrigen Licht versucht ein altes Brautkleid, eine Spur von Glanz in den Laden zu zaubern, doch der Schnitt der Hemden und Röcke am Kleiderständer ist schlicht hoffnungslos. Allerdings gibt es Raritäten wie den glockenförmigen Rock aus einer Art Goldbrokat für 15 Euro, die sind ein echtes Schnäppchen für Frauen, die kombinieren können. Und die Kunst des Kombinierens beherrschen viele Kunden im Paradies. Auch der geblümte Blazer aus den Neunzigern sieht auf den ersten Blick langweilig aus, aber mit einer passenden Jeans kann er an einer passenden Frau glatt zum Trendsetter werden. Mode, so lehrt uns die Kulturwissenschaft, müsse die Grenzen des Geschmacks erweitern und überwinden. Mode lebe vom Tabubruch. Der Tabubruch sei der Anfang der Mode. »Es bleibt den ganzen Tag kalt und verregnet«, sagt die Wetterfrau im Rundfunk mit tröstender Stimme, dann erklingt im Paradies ein schmachtender Liebessong aus den Achtzigerjahren. Ganz oben, unter der Ladendecke, hängen Mäntel aus Nerz, die vielleicht noch an Touristen, vielleicht auch niemals mehr verkauft werden. Vielleicht finden die Tierseelen dieser Pelzindustriekreaturen in dem düsteren Erdgeschossladen in der Adalbertstraße wenigstens ihre letzte Ruhe. Zwei Pelzkatzen, eine weiß und die andere grau, sind noch lebendig. Sie sind die Hausseelen des Paradieses. Die Miezen liegen auf selbst gestrickten Deckchen neben der Kasse und schnurren vor sich hin, manchmal verschwindet eine von ihnen hinter einer Tür, auf der »Privat« steht. Das Paradies ist nicht nur Laden, es ist auch Zuhause. Zwischen den Pelzen tickt gedämpft eine Uhr, das Radio singt, der Tee dampft, während die Hausherrin geduldig ein Puzzleteilchen an das andere legt und ab und an ihre pelzigen Katzenseelen füttert. Die wenigen Kunden, die an diesem dunklen Tag das »Paradies« betreten, stören die Häuslichkeit nicht. Die Frau schaut kaum auf, grüßt kaum, wenn jemand eintritt, diese Frau springt nicht gleich auf, um etwas zu verkaufen. Sie fragt auch nicht, ob sie vielleicht behilflich sein könne. Sie sitzt da, puzzelt und schweigt. Und trotzdem hat diese schweigsame Zurückhaltung in diesen kühlen Räumen etwas Freundliches, etwas Respektvolles. Sie vermittelt eine Spur von Langsamkeit, etwas Ruhe und Geborgenheit inmitten dieser immer lauter werdenden, immer hastigeren Stadt. Fasziniert betrachtet eine Kundin die Ballerinas, die sorgsam aufgereiht in hohen Regalen hängen. Sie sind nichts für dieses Schmuddelwetter, eher etwas für den Sommer. An einem Spiegel hängt ein Bauchtanzröckchen mit Glitzer – auch eher für den Sommer. Die Kundin aber überkommt in der Dämmerung des Paradieses eine plötzliche Müdigkeit, sie könnte sich jetzt in einen der Pelzmäntel rollen und auf dem weinroten Teppichboden einschlummern. Wie eine Katze. Die alte Dame, die so bedächtig puzzelt und nur ab und zu ein Wort mit ihren Felltigern wechselt, würde es sicher nicht stören. • |