September 2016 - Ausgabe 182
Strassen, Häuser, Höfe
Die Alte Jakobstraße Nr. 85/86 von Horst Unsold |
Wieviele Betriebe in den vier Höfen mit ihren vielen Aufgängen zu den verschiedenen Gebäuden untergebracht sind, ist kaum auszumachen. Während das Adressbuch von 1901 noch Schmieden, Schlossereien und andere Metall verarbeitende Handwerksbetriebe als Mieter der Alten Jakobstraße 85/86 verzeichnet, sind es heute ein Buchladen, ein spanisches Restaurant, eine Anwaltskanzlei, Architekten, eine Filmproduktionsgesellschaft, eine Hardscore Games GmbH, die cash.live AG oder die Firma Seracell , die Stammzellen aus Nabelschnurblut verkauft. Die neuen Zeiten haben auch auf der vierhundert Jahre alten Jakobstraße ihre Spuren hinterlassen. Foto: Dieter Peters
Der erste Besitzer des Baugrundstückes an dem alten Feldweg, der im Verlauf der Jahrhunderte mehrmals seinen Kurs zwischen Schafställen und Wiesen wechseln musste, und der mal »Jacobs Straße« , mal »Cöpnicksche Vorstraße« und mal »An der Counterscarpe«, genannt wurde, war ein Nachfahre hugenottischer Einwanderer: Louis Barth. 1892 verkaufte er das bereits mit Gründerzeitbauten bestellte Gelände an einen Landsmann, der ebenfalls Louis hieß, aber einen wesentlich berühmteren Familiennamen trug: Ravené. Die Ravenés waren Berlins erfolgreichste Eisenhändler. Anno 1685 war der Strumpfweber Francois David Ravené von Metz nach Berlin geflohen, aber schon die Kinder schienen zu ahnen, dass Strümpfe nicht für die Ewigkeit gestrickt wurden, und wandten sich beständigeren Rohstoffen zu: Ein Sohn wurde Glockengießer, ein anderer brachte es zum königlichen Uhrmacher, und die Tochter Marie Louise heiratete den Berliner Eisenhändler Joachim Degener. Auch einer der Enkel des Einwanderers suchte im Metall sein Glück und heiratete die Tochter des Eisenwarenhändlers Gottlieb Samuel Butzer. Dadurch wurde Jacob Ravené am 27. November 1772 nicht nur der neue Besitzer der alten Eisenhandlung, sondern zugleich Bürger von Berlin und Mitglied der französischen Kolonie. 50 Jahre lang verkaufte Jacob Ravené Nägel, Werkzeuge und Eisenwaren aller Art dermaßen erfolgreich, dass sein Sohn Louis in der Wallstraße ein Grundstück mit eigenem Hafen am Spreekanal kaufen konnte. Fortan löschten die Schiffe ihre eisernen Ladungen schon im Hof des Eisenhändlers, und als die Potsdamer und die Anhalter Eisenbahn gebaut wurden, war das Unternehmen Ravené & Söhne derart gewachsen, dass es sämtliche Schienenstränge zum Bau der hunderte Kilometer langen Eisentrassen liefern konnte. 1887 hat das Ravenésche Imperium bereits mehrere Stützpunkte: Zu dem Stammhaus in der Wallstraße 92/93 gesellten sich die Nummer 7 und 8, das Geschäft in der Stralauer Straße 28/29 wurde durch ein »Engros-Lager« in der Nummer 48 ergänzt, zwei weitere Dependancen befanden sich am Blücherplatz und in der Chausseestraße. Auch in der Neuen Grünstraße Nummer 17, die ihren Namen von dem giftig-grünen Schlammbach am Wegrand erhalten hatte, in den einst Färber und Gerber ihre Abwasser leiteten, hatten sich die Ravenés niedergelassen. Doch der Expansionsdrang der »Eisenkönige« war noch nicht gestillt. Verschiedene Geschäftszweige und Subunternehmen mit Niederlassungen in Nürnberg, Leipzig und London wurden gegründet, und 1892 kauften Ravenés Söhne das hinter der Neuen Grünstraße angrenzende Areal bis hin zur Alten Jakobstraße. 1910, als die Vereinigte Ravenésche Stabeisen- und Trägerhandlung bereits in den Besitz der Deutschen Eisenhandels AG übergegangen war, begann zwischen der Alten Jakobstraße und der Neuen Grünstraße der Umbau. Aus den noch lichtscheuen Hinterhöfen wuchsen stattliche Gebäude mit vorspringenden Brüstungen, Gesimsen und Balustraden, gerahmten Haupt- und zurückliegenden Attikageschossen. Die Fassaden glänzten mit elfenbeinfarbenen Klinkern und großen Fensterfronten auf jeder Etage. Während der repräsentative Bau an der Alten Jakobstraße fünf Stockwerke trägt, bescheiden sich die Gebäude nach dem kleinen Bogen der gepflasterten Durchfahrt zur Neuen Grünstraße mit nur noch vier Etagen. Dennoch sind alle Gebäude einheitlich stolz verkleidet, auch die hohen Torbögen an der Neuen Grünstraße und der Alten Jakobstraße sind identisch. An der Alten Jakobstraße haben sich die Ravenés ein Denkmal gesetzt. Sie sind es gewesen, die durch die aufwendigen Baumaßnahmen den Höfen zwischen der Alten Jakobstraße und der Neuen Grünstraße jene eindrucksvolle Gestalt gaben, die heute von den Maklern in ihren Geschäftsanzeigen eher sachlich und trocken als vom Geist der Gründerzeit beflügelt beschrieben wird: »Altbau mit Klinkerfassade und Zierelementen« . • |