Oktober 2016 - Ausgabe 183
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Teesaloniki von Erwin Tichatzek |
In der Böckhstraße hütet Panos die Düfte des Südens. Traditionsgemäß verbringen Altkreuzberger ihren Urlaub bis heute in Indien, Griechenland oder auf den Kanaren. Inseln wie La Gomera oder Kreta sind Kreuzberger Exile. Sie sind ihnen ans Herz gewachsen. Um den Urlaub noch ein wenig zu verlängern und die Erinnerungen frisch zu halten, bringen sie Muscheln und Sand, Wein und Öl, Honig und Käse, manchmal Kaffee und frische Kräuter mit, die in den Kreuzberger Küchen noch einige Wochen lang die Aromen sonnendurchfluteter Berghänge verbreiten. Foto: Dieter Peters
Erst vor kurzem hat er den Job des Informatikers gegen den des Tee- und Kräuterverkäufers getauscht. Vielleicht, weil auch er nach einigen Jahren in Berlin die Aromen seiner Heimat vermisste. „Kräuter, Tees und Honig griechischer Phase“ steht auf den Postkarten mit dem Ziegenkopf, und tatsächlich hat Panos auch kaum etwas anderes im Sortiment: Es gibt kleine Gläser mit Thymianhonig, Pinienhonig, Kastanienhonig, sogar den in Griechenland seltenen Tannenhonig, und jeder von ihnen hat sein unverkennbares Aroma, keiner von ihnen schmeckt wie das, was in den Honiggläsern der Supermärkte ist. Und es gibt Tee. Jede Menge Tee. Es gibt Salbeitee, Kamillentee, Diktamos, kretischen Bergtee, Zistrose, Pfefferminze, schwarzen und grünen Tee. Foto: Dieter Peters
Es ist nicht das Licht, das die Reisenden magisch anzieht, nicht das Blau des Libyschen Meeres. Es sind die Düfte. Es ist das unverwechselbare Aroma einer während langer Sommermonate ausgetrockneten Küste, die nach den winterlichen Regen und den ersten wärmenden Sonnenstrahlen plötzlich zu neuem Leben erwacht. Es sind die intensiven Aromen aus Salbei, Thymian und wildem Bohnenkraut, aus Sträuchern, Gräsern, Blumen, einer Spur Meersalz und einer Prise getrockneten Ziegenmists. Nirgends blühen die Kräuter so intensiv wie bei Kousés, wo sie ein paar Wochen später wieder vertrocknet sind, wo sie all ihre Kraft und Konzentration in diese kurze Zeit ihrer Blüte investieren müssen. Deshalb duften sie so, leuchten sie so stark - damit keine Biene an ihnen vorüberfliegt. So erzählt Yannis Giannoutsos, der Kräuterhändler aus Saloniki, der nun in den Bergen von Kreta lebt (…), in einer Welt kleiner olfaktorischer Sensationen, einer Welt aus Zimt und Koriander, Thymian und Oregano, Wacholder und Lorbeer, den Düften all der heimischen Pflanzen, aber auch den schweren Aromen exotischer Gewürzmischungen, die von weit her übers Meer kommen. In dem kleinen Laden in Kousés versammelt sich der irdische Kosmos milder und herber, bitterer und süßer Kräuter. Es scheint, als bewahrten die Gläser mit den zarten, hellgrünen Stengeln des Dills, mit den winzigen Kügelchen des Mohns, den anthropomorphen Gestalten der Ingwerwurzeln, den graugrünen Blättern der Brennnessel, den pelzigen, dicklichen Stängeln des griechischen Bergtees, und den kleinen Sonnen der Kamille den uralten Geruch dieser Insel. Einige der Kräuter aus dem Laden von Yannis Giannoutsos gibt es in der Kreuzberger Böckhstraße. Vorsichtig, behutsam und langsam, als lüfte er ein in einer Amphore geborgenes Geheimnis, und immer nur für einen kurzen Moment, öffnet Panos die Gläser, um eine Spur des Duftes entweichen und in die Nasen seiner Kunden dringen zu lassen. Und wenn sie dann die Augen schließen, strömt ihnen der ganze duftende Geist dieser Insel entgegen. • |