Kreuzberger Chronik
November 2016 - Ausgabe 184

Essen, Trinken, Rauchen

An der Ecke


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von Hans W. Korfmann

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Zwischen Shisha Bar, Bermuda Lounge und Automatencasino liegt das Holsten-Eck mit der Neonröhre im Fenster und zwei Plastiktischen auf der Straße, an denen niemand sitzt. Obwohl die Nordseite der Gneisenaustraße die Sonnenseite ist. Auch drinnen sind sie nur zu zweit: Rita hinter und Ernst vor dem Tresen. Ernst ist fast so lange da wie Rita und die Dartscheibe und die lichtscheuen Blumen vor den Fenstern. Wie das rauchgelbe Gemälde vom roten Sonnuntergang mit Fischerbooten, Palmen und weißer Moschee, das sie aufhängten, als man vom Orient noch Träumen durfte.

Im Holsten-Eck mit seinen Kümmerlingen, dem Dornkaat und dem Kindl und den Lampen, die nicht leuchten, vergeht die Zeit langsamer. Hier sind noch »D-Mark-Zeiten«, hier träumt man noch von der Million, auch wenn sie nichts mehr wert ist. Nicht mal in Euro.

Rita und Ernst erzählen Geschichten von Lottogewinnern: Von dem, der im Knast saß, und als er rauskam, hatte der Bruder alles ausgegeben; Von dem, der sich einen Lampborghini kaufte und dann im Wald endete, »ohne einen Pfennig!«; Und von dem Kleinen, der seinen Vater fragte - »hier im Holsten-Eck!« - ob er auch Kreuzchen machen dürfe. »Der Junge macht seine Kreuzchen, und am nächsten Samstag kommt der Vater herein und hält den Schein hoch: »Das wär ne Million gewesen! Ne Million!« Rita schüttelt den Kopf. »Und das hab ich mir dann zwei Jahre lang jeden Samstag anhören müssen!«

»So was macht man auch nicht!«, sagt Ernst ernst, »Entweder ick zerreiß den sofort oder ick schick ihn ab.« Rita nickt und füllt den Zettel aus. »Mach am besten gleich zwei!«, sagt Ernst, »Dann verdoppelst Du die Chance!« – »Aber es kann doch eh nur einer gewinnen, da kann ich mir doch den zweiten auch sparen!«

Rita zapft noch ein Bier für 1,50 und wirft einen Blick auf die Boxhandschuhe an der Wand. Wie oft haben sie ihr schon Geld geboten für die kleinen Dinger. Dreißig Jahre hängen sie jetzt schon hier, aber sie hat sie immer noch nicht verkauft. Man braucht eine dicke Haut, um sich durchzuschlagen. Vor allem als Frau. Damals wie heute.

Rita hat die dicke Haut. Ihre Haare sind noch so schwarz wie damals, als sie den Curryimbiss mit Pommes und Bier übernommen hat. 1969 war das. Goldene Zeiten. Da kamen mittags noch die Geschäftsleute zum Essen. »Aber jetzt gibt es keine Geschäftsleute mehr, die Firmen hier haben doch alle dicht gemacht.« Und die neuen essen in der Bergmannstraße Businessmenüs, vegan.

In drei Jahren feiert das Eck seinen Fünfzigsten. »Aber ob ich noch so lang mache?« Sie wirft einen Blick auf das Bild mit den Segelschiffen und macht Kreuzchen aufs Papier. Eigentlich spielt sie nie. Aber sie hat sie zu oft gehört, die Geschichten vom großen Glück, die man hier im Eck schon immer gern und viel erzählt hat. »Denn man weiß ja schließlich nie! •


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