November 2016 - Ausgabe 184
Geschäfte
Ein neuer Planet inder Bergmannstraße von Sybille Matuschek |
Vor 20 Jahren nannte sich ein kleiner Fotoladen in der Bergmannstraße »Das Foto«. Jetzt hat ein zweiter eröffnet: »Planet Foto«. Wer heute in der Bergmannstraße noch gute Geschäfte machen möchte, der setzt nicht auf alte Tugenden wie Gewissenhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit, mit denen man sich eine treue, aber nur kleine Stammkundschaft sichern kann. Wer heute in der Bergmannstraße sein Geld verdienen will, muss versuchen, die vorübergehende Laufkundschaft anzulocken. Nicht Nachbarn, sondern Touristen, die vielleicht noch ein Mal wiederkommen und dann für immer verschwinden. Also nennt man einen Fotoladen nicht einfach mehr »Foto-Bergmann« oder »Der kleine Fotoladen«, damit sich die Nachbarschaft angesprochen fühlt, sondern eher »Universal Pictures«. Damit auch die vermeintlich grünen Männchen vom Mars und ähnliche außergalaktische Kreaturen nicht auf die absurde Idee kommen, ihre Bilder woanders auf Kaffeetassen, T-Shirts oder Tapeten drucken zu lassen. Und nicht in der Bergmannstraße. Leider war der zugkräftige Name Universal Pictures schon vergeben, weshalb man in der heimischen Galaxie suchen musste und auf das schöne Wort »Planet« stieß. Also steht über dem Geschäft in der Bergmannstraße Nummer 15 nicht mehr »Video World«, sondern »Planet Foto«. Schließlich ist unser Planet groß genug und im Zeitalter der Handyfotografie von etwa 4,5 Milliarden Fotografen besiedelt. Die Kreuzberger Fotografen allerdings scheint der neue Laden bislang nicht angelockt zu haben, obwohl »Planet Foto« auf seiner Hompage das Wort »kreativ« im einstigen Viertel der Kreativen natürlich besonders hervorhebt. Auch auf der Eröffnungsparty im November letzten Jahres, gerade noch rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft, wurde laut Insiderberichten kein Kreuzberger Fotograf gesehen. Obwohl Kreuzberg voller Fotografen ist. Das Video von der Eröffnungsparty jedenfalls- »für alle, die nicht dabei sein konnten« - sieht eher aus wie ein professionell gedrehter Werbespot mit einer gut sortierten Auswahl an lächelnden, gut gelaunten und gut aussehenden Statisten aus allen möglichen Stadt- und Weltteilen - nur nicht aus Kreuzberg. Begleitet von schwungvoller Musik greifen Männer in locker sitzenden Anzügen zum Mikrophon, Damen lachen mit zurückgeworfenem Kopf und Sektgläsern in der Hand, ergraute Herren durchschneiden mit dem Habitus eines Politikers ein rotes Band. Es wird applaudiert, angestoßen und gefeiert. Das Ganze scheint ein Werbestreifen für Champagner, nicht für bunt bedruckte Kaffeetassen sein. Zielgruppe sind allerdings auch nicht die Kreuzberger Kaffeetrinker, sondern die Touristen auf der Suche nach einem ausgefallenen Souvenir. Foto: Dieter Peters
Kaum einer der alten Kreuzberger ahnt, dass der neue Planet in der Bergmannstraße auch einen Drucker hat. Und dass die Verkäuferinnen dort sehr nett und sehr hilfsbereit sind und viel mehr Zeit haben als etwa die an der Kasse eines Supermarktes. Und dass man im »Concept Store« nicht nur auf Stoff oder Leinwand, auf Plexiglas oder Metallfolien, auf Schultertaschen, Teppiche, Ofenhandschuhe, Shirts, Hoodies - also kuschelige Kapuzenpullover - auf Schlüsselanhänger und Mousepads, sondern auch schlicht und einfach auf Papier drucken kann. Auf gutes, glänzendes oder mattes Papier. Für einen Preis, der dem von Rossmann manchmal erstaunlich nahe kommt. Und zwar ohne Wartechlange, ohne drängelnde Hobbyfotografen im Nacken, ohne das Rattern einer billigen Maschine! Das Foto kommt dann auch nicht aus einem schmalen Schlitz unterhalb des Bildschirmes, sondern wird an einen Drucker im Souterrain gesendet, der »eben ein bisschen besser ist« als der des Drogisten - wie es die Mitarbeiterin mit dem dezenten Akzent auf durchaus charmante Weise formulieren kann. Es ahnt auch niemand, dass der Laden einmal im Monat kostenlose Foto-Workshops veranstaltet. Und dass man auf dem »Concept Store«-Computer Fotobücher erstellen kann. Und dass die junge Frau mit dem kleinen Akzent genug Zeit hat, der Großmutter und dem Enkel alles ganz genau zu erklären: Wie man die Bilder auf den Seiten platziert, wie man einen Text darunter setzt, wie man weitere Seiten hinzufügt, wie man die Farbe des Hintergrundes auswählt, und wie man das Cover gestaltet. Und das ist tatsächlich außergewöhnlich in einer Zeit und in einer Straße, in der eigentlich niemand mehr Zeit hat für lange Beratungen. Die Alt-Kreuzberger werden den neuen Planeten wahrscheinlich trotzdem nicht betreten. Die Neu-Kreuzberger schon eher. Sie könnten sich daran gewöhnen, jedes Jahr zu Weihnachten eine neue Kaffeetasse mit einem neuen Bild zu verschenken. Für die jungen Touristen allerdings ist der Laden schon jetzt ein echter Glückstreffer. Denn die originellen Berliner Postkarten, die einmal so anders aussahen als die vom Eiffelturm und vom Buckingham Palast, die gibt es inzwischen schon überall auf der Welt. Jetzt können sie endlich auch eine Postkarte mit dem Foto der neuen Freundin - mitten auf der Berliner Bergmannstraße - verschicken. Die Idee ist nicht ganz neu auf diesem Planeten, in Indien gab es so etwas schon vor zehn Jahren. Jetzt immerhin also auch in der Bergmanstraße! • |