Juni 2016 - Ausgabe 180
Reportagen, Gespräche, Interviews
Kreuzberg zu Verkaufen (5): Ein Gespräch im Wasserturm von Michael Unfried |
So voll wie am 25. April 2016 war es schon lange nicht mehr im runden Saal des Wasserturms. Die Flugblätter, die an vielen Haustüren zwischen Bergmannstraße und Fidicinstraße klebten und zur Informationsveranstaltung über den Verkauf der alten Bocksbrauerei an der Fidicinstraße einluden, schienen auch die längst schon hoffnungslosen Altkreuzberger noch einmal wachgerüttelt zu haben. Schon als der Vorbesitzer des Geländes umfangreiche Renovierungen der alten Backsteingebäude ankündigte, war die historische Brauerei Anlass zu Skepsis und Aufregung gewesen. Schließlich hatten sich im Lauf der Zeit einige Kreuzberger auf dem Gelände der Brauerei angesiedelt. In die Baracken um den hohen Schornstein des Bierbrauers Hopf waren Jugendinitiativen, das Theater Zerbrochene Fenster, Trommel- und Tanzgruppen eingezogen. Kleine Gewerbe nutzten die günstigen Lagermöglichkeiten, Handwerker arbeiteten in ihren Werkstätten, ein Weinhändler füllte die Gewölbe der historischen Bierkeller mit Beaujolais und Merlot. Das Gelände an der Fidicinstraße ist eines der letzten Rückzugsgebiete der viel zitierten Kreuzberger Mischung geworden, ein Relikt aus den wilden und berühmten Achtzigerjahren Kreuzbergs. Nun ist zu befürchten, dass auch dieses Beispiel alternativer Lebenskultur, die sich auf der Insel Berlin in den Zeiten des Kalten Krieges entfalten konnte, bald nur noch im Museum zu bewundern sein wird. Der Käufer, die Bauwert-GmbH, macht schon in ihrem Firmennamen deutlich, dass es ihr um Quadratmeterpreise geht, nicht um die historischen Gebäude eines ehemaligen Braumeisters oder die romantischen Vorstellungen einiger unverbesserlicher Kreuzberger. Um so erstaunlicher war es, als, auf die Anfrage des Moderators zu Beginn des Talks im Turm, ob nicht zufällig jemand vom Freudenberg Areal anwesend sei, der Investor den Finger hob. Im nächsten Augenblick betraten Herr Dr. Leibfried mit seiner gepflegten Halbglatze und seine weibliche Begleitung die Bühne, in hohen, glänzenden Stöckelschuhen, wie sie der alte Wasserturm in seiner zweihundertjährigen Geschichte noch nie gesehen hatte. Die Verlegenheit war groß, als sich herausstellte, dass es sich nicht um die Vertreter der Bürgerinitiative vom Freudenberg Areal handelte, sondern um den Investor selbst, der nicht nur das Areal in Friedrichshain, sondern auch die Brauerei beim Wasserturm gekauft hatte, um »exklusive Immobilien« und »Wohnungen in Top-Lage« zu verkaufen. Den beiden ungebetenen Gästen wurden die Stühle augenblicklich wieder entzogen, sie seien »hier nicht eingeladen«. Doch in den Reihen der Zuhörer war es mit dem Widerstand gegen die Kapitalgewalt nicht mehr weit her, freundlich rutschte man zur Seite, um der Dame mit den Barbie-Locken Platz zu machen. Der Herr musste sich vorerst mit einem Stehplatz in der Tür begnügen, um den umfangreichen Ausführungen des Podiums zu folgen, das zuerst über die Geschichte des Geländes und dann über den zunehmenden Ausverkauf Kreuzbergs dozierte. Es wurden einige abschreckende Beispiele für die Verunstaltung historischer Gebäude durch um jeden Quadratmeter feilschende Investoren aufgelistet, allen voran das Viktoriaquartier auf dem Gelände der ehemaligen Schultheiss-Brauerei. Der Investor allerdings wollte mit der Baywobau nicht in eine Reihe gestellt werden und hob den Finger. Doch anders als den gewöhnlichen Kreuzbergern wurde ihm das Wort entzogen, mit dem Hinweis, dass es sich um eine Diskussion der Bürger und Mieter handele, und dass er zu dieser Diskussion nicht eingeladen worden sei. Da erhob ein um die Demokratie besorgter Kreuzberger Einspruch: Die Einladung hätte an allen Hauswänden gehangen, es ginge nicht an, dass man den Mann nicht aussprechen lasse. Das brachte Unruhe in die Runde, es kam Stimmung auf, zum ersten Mal erinnerte der Abend ein bisschen an die vergangenen Tage des Kreuzberger Widerstands. Es könnten, so argumentierten die einen, anwesende Mieter und Gewerbetreibende durch die Anwesenheit der Firma derart befangen sein, dass es zu keinem offenen Meinungsaustausch mehr kommen könne. Die anderen verwiesen auf die Redefreiheit und die Möglichkeit, konkrete Fragen an den Investor stellen zu können. So wie in den alten Kreuzbergzeiten kam es zur Abstimmung per Handzeichen darüber, ob der Investor an der Diskussion teilnehmen dürfe. Mit 45 zu 40 Stimmen entschieden sich die Wassertürmler für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Doch noch immer regte sich in den Reihen Widerstand gegen die Vorstellung, diesen Mann mitreden zu lassen, aber der folgende Vorschlag, ihm kurz das Wort zu erteilen, um ihn anschließend des Saales zu verweisen, fand nur zwei oder drei erhobene Hände, die dafür oder dagegen waren. So saß der Herr Dr. Leibfried nach einer kurzen Pause nun doch noch auf der Bühne, erzählte seine hübsche Vision von der Bockbrauerei und versuchte mit kreideweicher Stimme, die Kreuzberger eines Besseren zu belehren. Mit der lächelnden Arroganz moderner Politiker, die versichern, dass das Flughafengelände von Tempelhof nicht bebaut und die Bergmannstraße nicht zur Begegnungszone wird, wenn die Bürger das nicht wollten, versicherte er, dass man »nur das Beste für Alle« im Sinn habe. Doch die Kreuzberger waren unbelehrbar und sahen statt des Weltverbesserers nur den Wolf im Schafspelz. »Natürlich haben wir vor, Wohnungen zu bauen, aber wir werden nicht mit massiver Gewalt versuchen, die einzelnen Mieter da herauszudrängen.«, versuchte sich der neue Investor auf Kreuzberger Boden von den schwarzen Schafen der Branche abzugrenzen. »Nein, Sie werden das sukzessive und relativ lautlos über die Mieterhöhungen machen. Wie das heute eben üblich ist.« »Wir sind nicht die Bösen, die versuchen, immer das Maximum herauszuholen. Wir werden denjenigen, die jetzt auf dem Gelände sind, natürlich neue Mietverträge anbieten.«, sagte der Investor. »Und wenn die Altmieter die neuen Mieten nicht zahlen können?« »Es gibt ja auch noch bestehende Mietverträge, die wir erfüllen müssen. Das ist doch selbstverständlich. Und wenn da ein Denkmalschutz besteht, dann wird da auch nicht gebaut werden. Dann ist das eben so.« , sagte der Investor, hob die Schultern und zog die Lippen herunter, womit er sagen wollte: Das sind zwar Unannehmlichkeiten für uns, aber wir haben genug Kapital, um das zu verkraften. »Und wenn alte Mietverträge auslaufen, werden sie verlängert?« »Das hängt davon ab. Wir wollen natürlich keine Mietverträge auf zehn Jahre verlängern, wenn wir in drei Jahren da bauen wollen. Das ist doch selbstverständlich.« »Es gibt also keine Sicherheiten für die Mieter!« »Die Gewerbe in den historischen Gebäuden bleiben. Wir werden da keine Umstrukturierung vornehmen. Aber da, wo die Betonbauten sind, werden wir Wohnungen bauen. Berlin braucht Wohnungen. So einfach ist das.« »Das haben wir doch alles schon gehört...« Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
»Wenn Sie die Betongebäude abreißen« , meldete sich nach betretenem Schweigen eine Frau aus der letzten Reihe, »betrifft das ja auch die Trommelschulen. Die sind da seit 25 Jahren! Das ist eine Kulturinstitution, und ich möchte, dass die hier bleiben. Ich habe aber gehört, dass die alle schon die Kündigung haben.« »Wie gesagt: Die Altmieter werden als erste angesprochen, und auch die Trommelschulen erhalten Angebote für neue Räumlichkeiten.« Er hob die Schultern und zog die Lippen herunter. »Sehen Sie denn keine Konfliktsituationen zwischen Wohnungen und Trommelschulen? Es werden ja nicht alles Musikliebhaber sein, die da bei Ihnen ´ne Eigentumswohnung kaufen…« »Es gibt genügend technische Möglichkeiten, um Geräuschentwicklungen so abzudämmen, dass keine Probleme entstehen.« »Sehr teuer. Das werden Sie niemals machen.« »Warum sagen Sie so was? Das ist doch unfair, wenn Sie das einfach so behaupten.« Der Investor, geübt im Streit mit aufmüpfigen Bürgern, verlor für einen winzigen Moment die Geduld. Dann lächelte er wieder. Diese Menschen ließen sich einfach nicht davon überzeugen, dass er es gut meinte. Diese Kreuzberger waren die Personifikation der Beratungsresistenz. So einfach war das. »Wenn ich das zum ersten Mal hören würde, würde ich ihm glatt glauben!«, murmelte einer der Beratungsrestitenten in der letzten Reihe. »Aber ich habe dieses Geschwafel jedes Mal gehört, wenn einer von denen hier was kaufte. Am Ende machen sie alle, was sie wollen. Und am Ende sind alle Kreuzberger verschwunden. So einfach ist das.« Eine Sprecherin der Initiative Wem gehört Kreuzberg wurde lauter: »Wenn Sie so ein Menschenfreund sind und es so gut meinen mit den Gewerbetreibenden, dann frage ich mich, warum Sie sich nicht längst mit ihnen in Verbindung gesetzt haben, um zu erklären, was Sie eigentlich vorhaben. Stattdessen haben Sie die Mieter total verunsichert, indem Sie ohne weitere Erklärungen Kündigungen verschickten. Und wenn man auf Ihrer Website nachsieht, wo Sie investieren, dann gewinnt man auch nicht gerade den Eindruck, dass Sie günstigen Wohnraum für die hier ansässige Bevölkerung schaffen wollen.« Das Gemurmel im Saal signalisierte breite Zustimmung zu dem geäußerten Misstrauen, aber schon hatte eine junge Frau die Aufmerksamkeit Leibfrieds gefesselt. Sie sagte, sie könne nicht verstehen, weshalb er eigentlich so sicher sei, dass er eine Baugenehmigung für neue Wohnungen erhalte. »Sie wissen doch, dass sich die Bezirksversammlung am Mittwoch gegen reinen Wohnungsbau aussprechen und diese Empfehlung auch an den Senat weitergeben wird. Wie können Sie da so selbstbewusst von 250 Eigentumswohnungen sprechen. Haben Sie so gute Verbindungen zur Senatsverwaltung?« Lächelnd zog Dr. Leibfried einen Trumpf aus dem Ärmel: »Am 28. 1. wurde doch im Bezirk beschlossen, eine Flächenplannutzungsänderung für eine reine Wohnnutzung auf dem Areal durchzusetzen!«, sagte der Doktor, hob die Schultern und zog die Lippen herunter. »Ich weiß nicht, woher Sie das haben!« , erwiderte ein Mitglied des Bezirksregierung, »Wir haben keinen solchen Beschluss verfasst.« Zum ersten Mal schien Dr. Leibfried verunsichert. Sollte da hinter seinem Rücken etwas verhandelt worden sein? »Aber es steht doch Schwarz auf Weiß im Amtsbrief!« , sagte der Doktor und zog die Lippen herunter, diesmal ganz ohne die lässige Schulterlockerungsübung. Nun begann man auf dem Podium in Akten zu blättern, aber noch bevor man fündig wurde, war die Redezeit des Dr. Leibfried abgelaufen. Obwohl sich in der öffentlichen Abstimmung nur eine Handvoll dafür ausgesprochen hatte, den Mann zuerst anzuhören und dann des Saales zu verweisen, wurde er nun aufgefordert, gemeinsam mit der barbie-blonden Begleitung den Kreuzberger Wehrturm zu verlassen. Ohne ein Wort des Grußes soll er am Tresen vor dem Versammlungssaal »vorbeigezogen« sein. Er hatte erreicht, was er wollte. Eines Tages wird man im Tagesspiegel und in der Berliner Zeitung lesen, dass der Investor versucht habe, sich mit den Mietern an einen Tisch zu setzen, aber die beratungsresistenten Kreuzberger hätten nicht mit ihm sprechen wollen. So einfach sei das! • |