Juni 2016 - Ausgabe 180
Geschäfte
Die letzten Bäcker (1): Die Bäckerei Kasper von Sybille Matuschek |
Morgens kommen eigentlich nur Männer. »Jetzt steigen Sie doch mal von ihrer blöden Treppe runter und machen mir zwei Milchkaffee, ich kann ja nicht bis morgen warten!« Der Handwerker mit mindestens zwanzig Außen- und ebenso vielen Innentaschen in Jacke, Hose und Hemd klopft mit dem Zollstock gegen die Glasvitrine der Theke mit den Backwaren. »Wir bezahlen Sie ja nicht dafür, dass Sie hier herumstehen!« Es ist sechs Uhr morgens, eine Zeit, in der alle anderen noch geschlossen haben und in der schlechte Laune zum Guten Ton gehört. Die Brot- und Kaffeeverkäuferin kennt das schon, steigt die Leiter herunter, zapft zwei Kaffee, gießt Milch in die Gläser und stellt sie wortlos vor den Handwerker auf die Theke. »Können Sie mir da vielleicht noch Kaffee in die Milch machen?«, sagt der Mann und hebt den Zollstock, »Ich glaub, Sie ham´ den Kaffee vergessen, so hell is der!« »Und woher kommt dann der bräunliche Farbton in Ihren Getränken?« Die Neukreuzbergerin mit Baby, die noch nicht weiß, dass hier morgens nur Männer sind, schaut den Handwerker, der offensichtlich gerade ihre Geschlechtsgenossin beleidigt hat, herausfordernd an. - »Ach, lassen Se mal, Fräulein, wir sind hier immer so intim miteinander um die Zeit!«, sagt er und setzt sich zu seinem Kollegen. Morgens ab halb Sieben haben alle Männer in der Bäckerei Kasper ein Stück Kuchen oder zwei halbe belegte Brötchen und einen Kaffee vor sich auf dem schmucklosen Tisch mit dem schmucklosen Resopalbelag. An der Wand hängen zwei Schilder: Angebot: Ein Stück Kuchen freier Wahl und ein Kaffee: 2,20. Und: Angebot: Zwei belegte Brötchen und ein Kaffee, 2,50. Einige der Männer gehen nach dem Kaffee bei Kasper zur Arbeit, andere haben keine Arbeit mehr. Zum Frühstücken kommen sie noch immer. Aus Gewohnheit. Nachmittags tauchen die Frauen auf. »Und dann hätt ich gern noch zwei Krawatten«, sagt eine, die aussieht, als hätte sie schon vor fünfzig Jahren ihre Schrippen hier geholt, auch wenn Kasper erst 1992 eröffnet hat. »Immerhin schon das letzte Jahrhundert!« Sie deutet auf das Blätterteiggebäck, das Kasper so akkurat gefaltet hat, dass es problemlos als männliche Kragendekoration durchgehen könnte. »Und noch zwei Stück Käsekuchen und zwei Schokotorten.«, sagt die Dame. »Sooo..- hier ham wa noch zwee Schoko und zwee Keese.« Die Kundin kramt einen kleinen Schein aus dem großen Portemonnaie, um das in Papier geschlagene Paket mit Kuchen und Kaffeestückchen zu bezahlen, als ihr einfällt: »Ein Brot brauch ich ja auch noch.« Kaspers Verkäuferin geht nach hinten in die weiß gekachelte Backstube und kommt mit einem halben Laib Landbrot zurück. Ein Duft längst vergangener Zeiten erfüllt den Raum: Der Duft von Brot, das gerade aus dem Ofen kommt. »Dann kommen noch mal 1,20 dazu!«, sagt sie. Foto: Dieter Peters
Natürlich hat er nicht so viele Brote und Brötchen in seinen Regalen wie die Backshops und die Backparadiese. Und dann ist immer alles gleich ausverkauft. So wie die Pfannkuchen, die gibt es so gut wie nie. Weil Kaspers Pfannkuchen längst auch eine Goldmedaille verdient haben. So wie sein Kürbisbrot, sein Sonnenblumenbrot und sein Kommissbrot, das hier immer noch Kommissbrot heißt, so wie zu Kaisers Zeiten. Aber er hat ja ohnehin kaum noch Platz für die vielen Auszeichnungen, eigentlich brauchte der Laden gar keine Tapete mehr, so viele Urkunden hängen an der Wand. Natürlich hat er neben altbackenen Berliner Klassikern wie Pfannkuchen, Landbrot, Schrippen, Knüppel und Kaiserbrötchen - die bei ihm noch »Semmeln« heißen, da die runden Brötchen eigentlich aus Bayern kamen - auch einige Kreuzberger Modeartikel wie Kürbiskernbrötchen oder fränkische Seelen im Regal. Und die Nussschnecken - das beweist ein kleines mit blauem Filz beschriebenes Schild - , sind sogar vegan. Das waren sie wahrscheinlich schon vor 24 Jahren, nur fragte da noch niemand danach. Aber all die wunderbaren Dinge, die aus Kaspers Ofen kommen, es gibt sie nicht für alle, man muss immer rechtzeitig da sein. Die Laugenecken für 90 Cent, die gleich vorne in der Vitrine liegen, - schon wieder so ein heißer Favorit für eine Goldmedaille! - sind so schnell aufgegessen, dass eigentlich nur früh aufstehende, schlecht gelaunte Handwerker in ihren Genuss kommen. Die nächste Frau kommt herein, es ist drei Uhr nachmittags. Sie grüßt mit »Moin.« – »Mahlzeit!«, erwidert die Frau hinter der Kaspertheke. Skeptisch mustert die Kundin die drei fast leeren Brotregale: »Ham Se keen Brot mehr?« – »Doch, hinten, inner Backstube. Wat wolln Se denn?« – »Wat issn noch warm?« – »Um die Uhrzeit?« Auch diese Kundin kann Kasper nicht verlassen, ohne noch etwas Süßes mitzunehmen. Erst denkt sie an eine Rumkugel, »aber da wird mir immer gleich ganz anders, so viel Rum, wie Sie da drin haben.« Dann gleitet ihr Blick über die Pfannkuchen, dann über die Bleche mit Streusel-, Kirsch- und Pflaumenkuchen; dann über den ganzen glänzenden Plunder, und endlich über diese Torten, die doppelt so hoch sind wie die Torten anderer Bäcker, und doppelt so gut und doppelt so frisch. Nur halb so teuer. Am Ende entscheidet sich die Kundin für ein Stück Erdbeertorte. »Ick weeß zwar manchmal nich mehr, ob Morgen oder Mittag is - aber dass jetzt Erdbeerzeit ist, dat weeß ick!« Irgendwann, wenn die Sonne schon tief steht, beginnen Kaspers Frauen, aufzuräumen, während eilige Männer schnell noch mal in die Graefestraße springen und hastige Frauen ihre heulenden Kinder draußen im Kinderwagen lassen, um noch eines der letzten Brote zu erwischen. Nach vierzehn Stunden, es ist schon längst wieder sieben geworden, fällt auch bei Kaspers der Vorhang. Dann hat auch der letzte echte Bäcker in Kreuzberg endlich Feierabend. • |