Juli 2016 - Ausgabe 181
Strassen, Häuser, Höfe
Die Friesenstraße Nr. 1 von Werner von Westhafen |
Die Bombe hätte die Markthalle treffen und noch mehr Zivilisten ins Unglück stürzen sollen. Doch sie fiel ein paar Meter daneben und traf das Eckhaus. Als der Krieg vorüber war, war von dem einst stolzen Haus vis-a-vis des Marheinekeplatzes nicht mehr viel übrig. Die Trümmer wurden, gemeinsam mit dem Schutt anderer Häuser, neben der zerstörten Marheinekehalle zu einem Trümmerberg aufgetürmt, erst nach und nach transportierten die Loren der Trümmerbahnen, die vor der Markthalle zu einem provisorischen Verkehrsknotenpunkt zusammenliefen, den Schutt zur Kiesgrube in der Hasenheide. Selbst die Straßenbahnen - immerhin waren von 3000 Waggons der Berliner Verkehrsbetriebe noch 794 einsatzfähig - mussten nachts Schutt transportieren, lediglich drei der ursprünglichen Linien hatten den Betrieb in der Ruinenstadt wieder aufgenommen. Vor dem einst repräsentativen Haus an der Ecke der Friesenstraße zur Bergmannstraße hatte nie eine Tram gehalten, doch die Zerstörungen und die Trennung der Stadt in drei Sektoren führte zu zahlreichen Linienänderungen. So kam es, dass am 2. Oktober 1950 die Linie 21 aus Moabit zum ersten Mal vor dem Grundstück Friesenstraße Nummer 1 hielt, auf dem zwar schon lange kein Haus mehr war, auf dem jedoch gerade einer jener niedrigen Nachkriegsbauten entstand, die das neue Bild Berlins prägten. Vielleicht wollte man mit der neuen Haltestelle die Ecke vor dem alten Marktplatz wiederbeleben, doch am 1. Februar 1953 wurde der Transitverkehr zwischen Ost- und Westberlin eingestellt, da die Ostberliner Verkehrsbetriebe fortschrittlich genug waren, aus Mangel an Straßenbahnfahrern weibliche Chauffeure einzusetzen, was ein Affront gegen die gesetzlichen Auflagen in den Westsektoren war. Die Folge war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen BVG-West und BVG-Ost, die Berliner mussten fortan zu Fuß über die Grenze wandern. Das Eckhaus vor der stillgelegten Haltestelle bestand jetzt aus einem Flachbau, in den großen Schaufenstern standen Stiefel, Halbschuhe und Sandalen von Schmolke, und als am 3. September 1953 die Markthalle wieder eröffnet wurde, befanden sich in den Räumen zur Bergmannstraße hin sogar schon die Firma Kirstein mit Zoo-Futtermitteln und ein kleiner Eisladen. Als Schmolke genug verdient hatte, zog eine der ersten Aldi-Filialen in der Friesenstraße ein. Das Leben kehrte allmählich zurück, auch am Marheinekeplatz. Doch bis die große Baulücke zwischen der Bergmannstraße Nummer 21 und der Friesenstraße Nummer 2 endgültig geschlossen wurde, vergingen noch einmal über 30 Jahre. Maßgeblich beteiligt an der Verzögerung waren die Hausbesetzer, die erheblichen Widerstand gegen die Sanierungspläne der Stadt leisteten. Denn ähnlich wie auch zwischen Gitschiner Straße und Kottbusser Damm plante man im alten Gründerzeitviertel um den Chamissoplatz vor allem den Abriss und eine vollständige Entkernung des Viertels. Durch den Druck der Bevölkerung korrigierten die Architekten und Bauherren ihre lukrativen Planungen zurück, kamen aber 1978 dennoch zu dem Schluss, höchstens 70% der Altbausubstanz erhalten zu können. 20 Wohnhäuser rund um den Chamissplatz sollten ersatzlos abgerissen, 10 Neubauten errichtet werden. Doch der Widerstand der Kreuzberger blieb ungebrochen, am Ende wurden nur einige rückwärtige Gebäude abgerissen. Lediglich die Bergmannstraße Nummer 14 wurde neu gebaut, und 2006 verschwand mit der Nummer 5 und dem Saal der Habelschen Brauerei, dessen museumswürdiger Stuck sich noch unbeschädigt unter der Neubaudecke des dort eingezogenen Supermarktes verbarg, - wiederum trotz heftigen Widerstandes - der letzte Flachbau in der Bergmannstraße, um einem Gesundheitszentrum Platz zu machen. An der Friesenstraße Nummer 1 gab es nichts mehr zu retten, weder Mieter noch Bausubstanz. Der Nachkriegsbau mit der Aldifiliale war eine Behelfslösung, und als er 1995 abgerissen wurde, ging es den Kreuzbergern nur noch darum, die Ästhetik des Straßenbildes zu wahren. Tatsächlich haben die Architekten nicht mit der heute üblichen Arroganz der Branche geplant und Glasquader neben die klassizistischen Schnörkel gesetzt, sondern Erker und Balkone und nur 13 Wohnungen mit den im 19. Jahrhundert üblichen komfortablen Deckenhöhen gebaut. Um das Fundament in der Friesenstraße Nummer 2 zu stabilisieren, das durch den Bau der Tiefgarage gefährdet war, musste das gesamte Gebäude »unterfangen bzw. abgefangen« werden. Sogar die Fassadenstruktur der Straße wurde eingehalten, im Hof wurden die Dächer der Remisebauten begrünt, ein Kindergarten zog im Hof ein. Bildnachweis (oben):Mit freundlicher GenehmigungdesLandesarchivs Berlin, F Rep. 290 Nr. 0002867 / Fotograf: Willy Kiel |