Juli 2016 - Ausgabe 181
Geschäfte
Die letzten Bäcker (2): Die Bäckerei Mehlwurm von Sybille Matuschek |
Ich hätte gern ein Baguette. Alle sagen, das wäre das beste Baguette in Kreuzberg.« Eric verzieht den Mund. »Bloß von Kreuzberg. Jetzt bin ich aber enttäuscht. Da haben wir vier Wochen für gebraucht!« - »Wie, vier Wochen?« - »Vier Wochen haben wir ausprobiert, die verschiedensten Rezepte, bis wir das raushatten. Da war der Volker noch dabei. Aber der hat jetzt nen Stressjob, der fährt jetzt von Baustelle zu Baustelle.« Foto: Dieter Peters
Die Leute reden mit Eric. Weil Eric nämlich auch mit ihnen redet. »Sie sehen ja immer noch so aus!«, sagt er zu der Frau, die sich die Nase gebrochen hatte, und der man gerade die Fäden gezogen hat. Kaum hat er das gesagt, beißt er sich auf die Zunge und wartet, wie die Kundin reagiert. Sie lacht. Und erzählt ihre ganze Leidensgeschichte. Eric sagt, man »erwischt mich immer wieder mit ehrlichen Worten. Für Karstadt bin ich komplett untauglich.« Aber für die Halle und auch für Mehlwurm ist Eric genau der richtige. Er kneift kurz ein Auge zusammen, taxiert den Mann mit diesem eindrucksvollen Bart und sagt: »Falsche Halle, oder?« Der Mann mit dem Bart muss lachen, er ist Stammkunde, allerdings in der Markthalle im fernen Moabit. Die meisten Mehlwurmkunden sind alte Stammkunden, ob in der Halle von Moabit oder der von Kreuzberg. »Was? Sie?«, sagt Eric und kratzt sich nachdenklich den Hinterkopf: »Sie haben doch sonst immer viel später Feierabend, es ist doch erst halb sechs!« Zwischen fünf und sechs geht Brot auf Brot über die Theke, da kommen sie und holen sich ihre Dinkel-Rose, ihre Möhre-Walnuss oder das Hamburger Schwarzbrot. Kurz vor Feierabend, nach einem langen Nachmittag voller Witze und Gespräche, fallen die Dialoge zwischen Brotverkäufer und Brotkäufer kürzer aus. Mitunter greift er auf die Standards zurück, aber ganz ohne Worte geht es nie. Wenn einer seine Erdbeeren auf der Theke abstellt, um nach dem Geld zu kramen, dann sagt er: »Die nehm wa nich in Zahlung!« - Oder er sagt: »Ick hab selber welche.« Natürlich verirren sich manchmal auch Fremde zu Mehlwurm, samstags zum Beispiel, die einfach nur ein Brot wollen und sonst nichts. »Das muss man im Gefühl haben. Ich schau die kurz an und weiß, Guten Tag reicht!« Die Kreuzberger lieben das Brot von Mehlwurm. Seit 33 Jahren schon. Seit sie 1983 das Mehlwurm-Kollektiv gründeten. Bis heute bekommen alle den gleichen Lohn, Bäcker, Verkäufer, Büroangestellte, und alle vierzehn Tage ist Plenum, trotz GmbH. Es ist fast wie in den frühen Achtzigern. »Und das schmeckste auch,« Und das riecht man sogar. Drei Bäcker gibt es in der Halle, aber bei keinem von ihnen duftet das Brot abends um sechs noch so frisch wie bei Mehlwurm. Foto: Privatarchiv
Ein Kunde schaut in sein Portemonnaie und sagt: »Oh!« - Eric sagt: »Großes Geld? Kein Problem. Aber wenn jetzt ein Tausender kommt, dann stimmt was nicht!« Doch dem Kunden fällt das Lächeln schwer. Vielleicht ist er ein echter Fälscher, aber wahrscheinlich ist er nur ein gewöhnlicher Mann. »Witze bei Männern, das ist eine ganz schwierige Sache, aber bei den Frauen….!« Manche, die kommen eben nicht nur, weil es hier das beste Baguette Kreuzbergs gibt, sondern auch den besten Baguetteverkäufer ganz Berlins. • |