Februar 2016 - Ausgabe 176
Kreuzberger
Tina Knaak Ich wollte sofort wieder nachhause
von Ina Winkler
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Nach der »Freisprechung« , wie sie den Abschluss der Lehre zuhause nannten, wollte sie erst mal weg vom Bremer Stadtrand mit seinen Karnickeln, Enten, Hühnern und den Bauern, die den Kindern hinterherliefen, wenn sie auf den Baum geklettert und von dort auf den Rücken der Kuh gesprungen waren, was immer ein Heidenspaß war. »Ich glaub, keiner von uns hielt sich länger als eine Minute, man glaubt gar nicht, was diese Kühe für Sprünge machen können.« Es war eine schöne Zeit, aber Tina war jetzt lange genug Kind und bei den Eltern gewesen, es war an der Zeit, etwas ganz anderes zu machen. Also stieg sie in ihren »wunderbaren Käfer« und fuhr nach Berlin, wo es diese sagenhafte Berlinzulage gab, und wohin sogar der Umzug bezahlt wurde. Außerdem war Berlin nicht ganz so weit weg - für den Fall, dass sie nach einem Jahr vielleicht doch einmal Lust verspüren sollte, die Daheimgebliebenen zu besuchen. Das muss eine Art Vorsehung gewesen sein, denn kaum war sie in Berlin, empfand sie furchtbares Heimweh. Bei der Freundin, die ein Jahr zuvor Bremen verlassen hatte und in die Dieffenbachstraße nach Berlin-Kreuzberg gezogen war, sah alles ganz anders aus als daheim. »Die Wände waren schwarz gestrichen, Skelette davor, und auf dem Sofa saß ein Typ ganz in schwarz und las das Necronomicon! Ich war in zehn Minuten wieder draußen, und draußen war gerade ein Straßenfest mit Bühnen und Punkmusik, und ich stell mich da hin mit meiner Punkfrisur, und da tritt mich so´n Türken-Gör in den Arsch und meint: Du versperrst mir die Sicht! - Ich bekam voll die Krise und wär´ am liebsten gleich wieder zurückgefahren.« Tina dachte, sie kommt hier nie an. Aber das war 1988, und Tina ist immer noch hier. Obwohl das »schwere Heimweh« sie immer wieder überfiel, ein halbes Jahr lang hat sie »echt gelitten, und ich bin nur deshalb nicht zurück gefahren, weil ich mir keine Blöße geben wollte. Weil ich mir diese Kommentare nicht anhören wollte.« Also begann sie im Heidereiter als Köchin. Sie hätte überall anfangen können, gelernte Köche waren Mangelware in Berlin. Aber auch Wohnungen waren Mangelware, Tina zog von einer Freundin zur nächsten, wohnte ein paar Monate hier und ein paar dort, bis sie »wegen des Tupperstreits« - ihre Freundin wollte partout keine Tupperdosen in ihrem Alternativhaushalt, aber Tina hatte die praktischen Döschen doch von ihrer Mutter persönlich mit auf den Weg nach Berlin bekommen! - auch aus ihrer letzten Kreuzberger Wohnungsgemeinschaft rausflog. Trotzdem war genau das der Moment, als sie anfing, endlich heimisch zu werden in der großen Stadt: Der Einzug in die eigenen vier Wände. Auch wenn es nie ganz die eigenen Wände waren, denn allein war sie nie. Irgendwann waren sie zu zehnt: drei Hasen, drei Meerschweinchen, zwei Schnecken, der Hund, und Tina. Im Moment allerdings sind sie nur noch zu viert. Tina wohnt mit Satchmo, dem Hund, in der Wohnung, die beiden Hasen Laurel und Hardy in ihrem Garten, der sogar in ihrem Mietvertrag eingetragen ist, und den niemand dort im zweiten Hinterhof hinter der Bergmannstraße vermutet. Nicht einmal die Polizei: »Wenn wir im Garten Partys feierten und die Nachbarn die Polizei riefen - wir haben nämlich tolle Partys gefeiert, damals, als wir noch grüne Haare hatten! – dann zogen die gleich wieder ab, weil ja kein Mensch im Hof zu sehen war.” Dass es einen zweiten Hof hinter dem Quergebäude gibt, ahnt keiner, weil es weder eine Durchfahrt noch eine Tür im Treppenhaus gibt, »der einzige Zugang führt durch den Keller im Seitenflügel. Und über meinen Balkon!« Eigentlich hatte Tina sogar eine eigene Treppe von ihrer Wohnung zum Garten bekommen sollen, aber die Bauaufsicht protestierte. Dafür hat man ihr dann einen Balkon angebaut, von dem aus »kann ich jetzt auf meine Latifundien und die Hasenställe blicken.« Trotz all dieser Bequemlichkeiten beschlich sie immer wieder das Gefühl, dass ihr irgendetwas fehlt zum Glück. Sie dachte an einen Mann, aber das war es nicht. Tina kann kochen, aber sie ist eine Punkerin und kein Hausmütterchen. Sie hat sich von Lobito Fischer eine silberne Spirale durch fünf Ohrlöcher ziehen lassen, unter Verwendung einer halben Flasche Schnaps und unter den argwöhnischen Blicken der Touristen im Turandot. Sie hat nichts »gegen einen soliden Onenightstand, und vielleicht auch mal ein gemeinsames Frühstück, aber dann ist´s gut. Ich hab einfach zu viele Schrullen.« Zu viele Tiere, zu viele Tupperdosen, zu viele Freunde. 150 kamen zu ihrem Vierzigsten ins Yorckschlösschen. Wie viele es am Fünfzigsten sein werden, ist unabschätzbar. Sie hat in zu vielen Kneipen hinter dem Tresen gestanden, und überall sind neue Freundschaften entstanden, im Backbord, im Heidereiter, im Yorckschlösschen, im Anfall und im Merlin an der Bergmannstraße, wo »jetzt diese Sushibar ist, gegenüber vom Labergyros« . Und im Turandot, wo sie immer noch ein Sparfach hat. Tina hat als unsichtbare Köchin in irgendeiner Kreuzberger Hinterhofküche angefangen, jetzt ist sie eine der bekanntesten Tresenkräfte Kreuzbergs. Ihr Oberarm ist stark genug, um ein Tablett mit 10 Biergläsern auf einer Hand zwischen überfüllten Tischen hindurchzubalancieren, sie hat eine kräftige Stimme, die ihr jeden Weg frei macht, und eine Wortwahl, die sonst eher unter geborenen Berlinern als in Bremen heimisch ist. Dazu kommt ein lautes, selbst den Geräuschpegel im Turandot noch um einige Dezibel übertreffendes, herzhaftes Lachen. Foto: Dieter Peters
Eine andere halbe Nacht hat sie sich mit irgendeinem Gast über die Unterschiede zwischen Dressurreiten und Formel-Eins-Rennen unterhalten. Sie vertrat den Standpunkt, Autorennen seien eine unnötige Vergeudung fossiler Brennstoffe, während der Gast der Meinung war, Pferdesport sei Tierquälerei. Das Gespräch dauerte bis zum frühen Morgen, am Ende einigte man sich darauf, dass beide Sportarten ohne eine gewisse Idiotie weder auszuüben noch zu betrachten seien. Und schon wieder hatte sie einen Freund mehr auf ihrer ohnehin schon viel zu langen Geburtstagsliste. Foto: Privat
Es scheint, als hätte Tina alles, was der Mensch zum Leben braucht: Freunde, eine Wohnung mit Garten, eine Arbeit. Dass ihr all die Jahre über dennoch etwas gefehlt hatte, bemerkte sie erst, als sie das erste Mal in Tempelhof auf der Wiese stand und diesen weiten Himmel über sich sah. »Da wurde mir klar, was mir all die Jahre gefehlt hatte. In Bremen war überall Horizont gewesen!« Inzwischen ist das Tempelhofer Feld ein Stück Heimat geworden. Jeden Tag ist sie jetzt hier. Die Krähen warten schon, wenn sie nachmittags bei dem Feuerwehrflugzeug auftaucht. Die Freundschaft zu den Vögeln entstand, weil die Krähen ihrem Hund immer die Hundekekse klauten. »Das war auf Dauer einfach zu teuer, da hab ich irgendwann mal Vogelfutter gekauft.« Die Vögel und der Hund können sich auf sie verlassen, sie kommt bei jedem Wetter. Auch bei zwei Grad plus und waagerechtem Nieselregen. »Da sind wir dann ganz allein, die Vögel, der Hund und ich, und vielleicht noch die Parkaufsicht und irgendwo so´n atomverseuchter Jogger. Und Henriette natürlich, noch so eine Hasendame, die liegt da hinten unter dem Hagebuttenbusch. Aber sonst gehört uns das Feld an solchen Tagen allein!« Es hat gedauert, doch irgendwann ist sie heimisch geworden in Berlin. Sitzt auch nach Feierabend noch mit Freunden in der Kneipe, denn »auf der anderen Seite des Tresens zu sitzen und den andern beim Putzen zuzuschauen, das ist voll befreiend.« Fährt mit dem Rad durch Kreuzberg, vorn im Körbchen sitzt Satchmo und lässt sich den Wind um die Nase wehen, während sie immer wieder die Hand zum Gruß hebt, sie hat gar nicht so viele Hände frei, um sie alle zu grüßen, die vielen Freunde. Bremen ist ganz schön weit weg gerückt, seit es diesen weiten Bremer Himmel auch über Berlin gibt. |