Februar 2016 - Ausgabe 176
Reportagen, Gespräche, Interviews
Letzte Chance für das Tempelhofer Feld von Erwin Tichatzek |
Im Mai 2014 stimmten 740.000 Berliner für den Erhalt des Tempelhofer Feldes und verfassten ein Gesetz. Doch Berlins neuem Bürgermeister ist das egal. Er will bauen- und dazu das Gesetz ändern. Foto: Dieter Peters
Wenige Wochen später aber war die Schonzeit für die Demokratie abgelaufen, Müller wurde konkreter: »Wir müssen über die Bebauung des Feldes noch einmal nachdenken.« Wiederum ein paar Tage später fügte er hinzu, man könne es nicht hinnehmen, dass eine Minderheit über die Zukunft einer Stadt entscheide. Mit der »Minderheit« meinte der Bürgermeister die Bürgerinitiative, die erstaunlich »gut vernetzt« sei und sehr »medienwirksam« arbeite. Müller suggerierte, dass es bei dieser Wahl nicht mit rechten Dingen, sondern mit Demagogie zugegangen sei, und dass die Mehrheit der Bürger etwas ganz anderes wolle: die Bebauung des Feldes. Aus diesen Reaktionen wird deutlich: Was für Wowereit BER ist, das ist für Müller THF: eine Niederlage. Jahrelang hatte er sich für das Bauprojekt auf dem stillgelegten Flughafen eingesetzt, den Bürgern Visionen von sozial verträglichen Mieten und einer schmalen Randbebauung aufgeschwätzt, von einem Park mit See geschwärmt und beim Drachenfest auf der grünen Wiese versichert, dass alle Drachen auf der Wiese bleiben dürften. Dennoch entschieden 740.000 Berliner gegen ihn und sagten »JA« zu 360 Hektar Freiheit mitten in der Stadt. In einem Interview im Sommer 2015 zeigte sich der Verlierer sportlich, auch wenn ein Volksentscheid kein Freundschaftsspiel ist: »Aufgeben wegen einer einzelnen Entscheidung? So etwas macht man nicht!« Rückendeckung holte er sich vom Parteigenossen Andreas Geisel, der verlautbarte, es sei ein »Irrsinn, dass wir Flüchtlinge in zu Wohnzwecken ungeeigneten Hangars unterbringen wollen, nur damit die 300 Hektar große Freifläche komplett unbebaut bleibt.« Auch bei einem Treffen mit den Berliner Altbürgermeistern Diepgen und Wowereit findet er Unterstützung: Klaus rief aus, wer auf dem Feld nicht bauen wolle, »habe die Stadt nicht verstanden«, und Eberhard hätte am liebsten selbst den Spaten in die Hand genommen, um Wohnungen zu bauen - trotz ThF-Gesetz. Er »verstehe, dass die Politik Hemmungen hat, an dieses Gesetz zu gehen. Aber Politik muss auch mal den Mumm haben, etwas zu verändern.« Am 18. November verkündete auch der Tagesspiegel endlich, was die Spatzen schon lange vom Dach des Roten Rathauses pfiffen: dass der Senat das Tempelhof-Gesetz kippen möchte. Und dass es sich dabei um eine persönliche Revanche Müllers an der Bürgerinitiative handeln könne. Flächen zur Aufstellung provisorischer Unterkünfte, erkannte sogar der regierungstreue Tagesspiegel, gebe es genügend in Stadt. Am 24. November wurde es amtlich: Auf einer Senatssitzung legte Senator Geisel einen »Gesetzentwurf zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen« vor. Dazu müsse »das ThF-Gesetz geändert« und um § 9 ergänzt werden. Die neue Klausel ist eine Art Notstandsparagraph, der just jenen Passus, der eine Bebauung des Feldes verbietet, bis zum 31. 12. 2019 außer Kraft setzt. Die Gesetzesänderung sollte nach Müllers Plänen im Eiltempo diskutiert und schon im Dezember verabschiedet werden. Doch die Medien waren hellhörig geworden, auch im Parlament führte die autoritäre Regierungsweise des smarten Bürgermeisters zu Kontroversen, woraufhin die geplante Abstimmung zunächst auf den 14. Januar verschoben wurde. Am 2. Dezember nahmen der Stadtteilgarten Schillerkiez und der Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor zu Müllers Bauplänen Stellung: »Das vom Senat zur Abstimmung vorgelegte Gesetz bedeutet für uns eine Missachtung der direkten Demokratie; es wird der Bedeutung des Volksentscheids nicht gerecht.« Aus dem Umkreis der Bürgerinitiative meldeten sich die Verfasser des ThF-Gesetzes zu Wort: »Eine Gesetzesänderung, die auf eine Änderung des § 5 abzielt, das Herz des Tempelhofer Feld Gesetzes, würde ganz klar belegen, dass es dem Abgeordnetenhaus nicht um die Flüchtlinge und um Menschlichkeit geht, sondern um die Rückerlangung der Verfügungsgewalt des Landes Berlin und somit des Senats über das Tempelhofer Feld.« Am 7. Dezember fand im alten Ballsaal des Heimathafens in Neukölln unter Stuck und Deckenscheinwerfern eine Veranstaltung der Initiative 100% Tempelhof statt. Es war, als gäbe der chinesische Staatszirkus eine kostenlose Vorstellung. Die Menschen kamen in Scharen, nicht nur auf Inlinern und Skateboards, sondern auch auf Krücken und mit dem Rollator, mit Kopftüchern und Irokesen. Über fünfhundert Bürger drängten in den Saal, obwohl die Initiative nur vier Tage Zeit hatte, um die entscheidende Frage auf Plakate zu drucken und auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen: »Was plant der Senat wirklich auf dem Tempelhofer Feld?« Angekündigt waren Politiker und Vertreter der Bürgerinitiative, doch wer glaubte, Geisel oder sein Bürgermeister würden sich der Diskussion stellen, wurde enttäuscht. Der Senat, der nur eine Woche später das Gesetz hatte verabschieden wollen, fand für Diskussionen keine Zeit und ließ sich »wegen der Kurzfristigkeit der Ankündigung entschuldigen.« Als einsames SPD-Mitglied auf dem Podium erntete Daniel Buchholz, der, wie die Moderatorin betonte, »an diesem Abend tatsächlich großen Mut beweist«, lauten Beifall. Die Veranstalter präsentierten Fakten, die auch Medienvertreter überraschten. Kaum einer wusste, dass die vier Bauträger, die mit der Errichtung der Flüchtlingslager auf dem Feld beauftragt werden sollen, »so ziemlich genau die gleichen sind wie die, die vor dem Volksentscheid dort bauen wollten«, und dass in dem Gesetzentwurf »mit keinem einzigen Wort vom Rückbau der Modulbauten die Rede ist.« Kaum einer weiß, dass die Tamaja GmbH, die mit der Unterbringung der Flüchtlinge in den Tempelhofer Hangars Geld verdient, »gerade mal drei Monate im Geschäft ist« und keinerlei Erfahrung in der Organisation von Notunterkünften hat. Dass die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge in den Hallen gesetzeswidrig ist, da sich dort gleich drei Menschen jene sechs Quadratmeter teilen, die per Gesetz als Minimum in Massenunterkünften pro Person vorgeschrieben sind. Dass es unzählige Alternativen zum Standort Tempelhof gibt, dass eine Wohnungsbaugesellschaft 200 Wohnungen ageboten hat und trotz mehrfacher Nachfragen nie eine Antwort vom Senat erhielt. Der Vorwurf der »Ghettoisierung« und die Forderung nach einer »dezentralen und menschenwürdigen Unterbringung« werden laut, als wichtigste Voraussetzung für die angeblich angestrebte Integration. »Aber es sieht so aus,« sagt Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat, »als wolle der Senat die Menschen vorsätzlich in Massenunterkünften unterbringen.« Man will es ihnen nicht zu gemütlich machen, möchte keine zu schönen Bilder in die Welt senden, sondern Bilder von überfüllten Hallen und jammernden Menschen hinter Maschendraht. Bilder wie aus Gefangenenlagern. Welcher Ort wäre dazu besser geeignet als der Flughafen von Tempelhof mit seinem 5 Kilometer langen Sicherheitszaun? Fast einen Monat nach der Veranstaltung im Heimathafen, am Morgen des 4. Januar, lud die Initiative 100 % Tempelhof zu einer Pressekonferenz. »Überraschend kurzfristig, damit sich der Senat nicht darauf vorbereiten kann.« Dennoch erschienen die Vertreter aller Berliner Tageszeitungen, die schriftliche Pressemitteilung mit der fett gedruckten Schlagzeile ES GIBT SIE: ALTERNATIVEN ZU MÜLLERS LAGERPOLITIK war in wenigen Minuten vergriffen. Noch am Nachmittag wurden auf den Internetseiten der Tagespresse die Forderungen der Bürgerrechtler von Tempelhof veröffentlicht: »Die sofortige Rücknahme des Gesetzentwurfes aus dem parlamentarischen Verfahren«, die »Schließung der Massenlager für Geflüchtete« und »Wohnungen statt Lager.« Am Abend, als die Initiative in kleiner Runde in Neukölln zusammenkam, war man optimistisch, dass durch die Pressekonferenz eine breite Öffentlichkeit über die Hintergründe der Diskussion informiert werden würde. Zur gleichen Stunde aber verkündete der RBB, die Bürgerinitiative lehne Flüchtlinge auf dem Feld ab. Auch der Tagesspiegel legte den Fokus der Berichterstattung nicht auf den »Frontalangriff auf die Demokratie« und das Aushebeln des Bürgergesetzes, sondern zauberte eine heile Welt mit Wohnungen, Geimeinschaftsküche, Kitas, Schulen und Sportplätzen auf das Flughafengelände. In der Neuköllner Runde ist man über derartige Reaktionen ebensowenig überrascht wie über die kurzfristige Einladung des Senats zu so genannten »Fachgesprächen«. In der Presse hatte er bereits verkünden lassen, man befände sich in konstruktiven Gesprächen mit den verschiedenen Bürgerinitiativen und er sei zuversichtlich, dass auch 100% Tempelhof zustimme. Eine Lüge: »Wir haben kein einziges Wort miteinander gewechselt. Geisel sprach mit Tilmann Heuser, nicht mit uns. Natürlich sind wir gesprächsbereit, allerdings nur, wenn der Gesetzentwurf vom Tisch ist und das ThF-Gesetz unangetastet bleibt.« In der Bürgerinitiative traut man niemandem mehr. »Man versucht nur, uns mit an den Tisch zu bekommen, um hinterher sagen zu können, wir hätten das mitentschieden.« Tatsächlich zieht der Senat schon seit langem alle Register. 2008, als über die Schließung des Flughafens debattiert wurde und sich erste Initiativen formierten, kursierte das Gerücht, dass V-Männer in die Bürgergruppen eingeschleust würden, die für Unfrieden sorgen sollten. Auch jetzt versucht der Senat, die verschiedenen Gruppen, die sich für das Feld engagieren, gegeneinander auszuspielen. Er setzt Leute wie Tilmann Heuser vom Bund für Umwelt und Naturschutz als Moderator ein. »Aber der Mann wird vom Senat bezahlt, das muss man einfach mal sagen«. Seine Aufgabe ist es, irgendeinen faulen Kompromiss auszuhandeln, und sei der noch so temporär. Erster Angriff auf das Tempelhofer Feld, 20. Juni 2009 Foto: Dieter Peters
Frieden auf dem Tempelhofer Feld, November 2015 Foto: Dieter Peters
Verteidigung auf dem Tempelhofer Feld, November 2015 Foto: Dieter Peters
Dabei sind über Tausend gekommen. Nur einer, der gleich hier in Tempelhof wohnt und seit Jahren um das Feld kämpft, ist nicht da: der Bürgermeister. Stattdessen werfen seine Staatssekretäre eine Stunde lang fünfstellige Zahlen ins Feld, um die Senatspolitik zu rechtfertigen. Versichern immer wieder, »dass das ThF-Gesetz im Kern unangetastet« bleibt. Die Berliner hören zu, als säßen sie im Geschichtsunterricht. Nur ein Mal gibt es Pfiffe, ein Mal ziehen die Akteure von 100 Prozent Tempelhof mit Transparenten vor dem Rednerpult vorüber: HÄNDE WEG VOM VOLKSENTSCHEID! INTEGRATION STATT GHETTO! Aber als die Bürger endlich zu Wort kommen, wird sehr schnell eines klar: Keiner vertraut dieser Politik. Es treten Flüchtlinge ans Mikrophon, Bürgerrechtler, Bezirkspolitiker, Nachbarn, und jeder dieser Redner zweifelt an der Seriösität der Senatsvertretung. Eine Helferin verzichtet »auf den Dank des Senats«, eine Friedensaktivistin hält es für »respektlos, wie über den Volksentscheid hinweggegangen wird«, ein Anwohner aus Neukölln schämt sich »dafür, wie Berlin mit den Menschen umgeht«, und ein Bürgerrechtler fragt nach all den Beschwichtigungsversuchen der Podiumsredner: »Das sollen wir Ihnen alles glauben?« Bis einer der Senatssprecher es dann doch noch ausspricht: »Natürlich ist das politisch eine sensible Sache, aber laut Verfassung kann der Senat jedes Gesetz jederzeit auch wieder ändern.« Bürgerversammlung, Januar 2016
Sieben Tage noch. Dann wird die Entscheidung fallen. Für oder gegen das Tempelhofer Feld. Für oder gegen die Bürger. Für oder gegen die Flüchtlinge. Für oder gegen die Demokratie. |