Februar 2016 - Ausgabe 176
Kanzlei Hilfreich
Der Betrug von Kajo Frings |
Jens Hilfreich glaubte an die Unschuld im Menschen. Das ahnten manchmal sogar seine Mandanten. Am 23.12.1994 kam es zu einem unglücklichen Zusammentreffen zwischen Frau Andrioti und den Sicherheitskräften von Karstadt am Hermannplatz. Frau Andrioti war im Eingangsbereich des Kaufhauses in Besitz von einem Paar Kindersocken, einem Herrenoberhemd und einem Büstenhalter angehalten worden. Die Frage war nun, ob sie das Kaufhaus gerade hatte verlassen oder betreten wollen. Sie gab an, das vermeintliche Diebesgut vor Tagen käuflich erworben, zu Hause aber festgestellt zu haben, dass ihre Töchter zugenommen, ihr Mann dagegen abgenommen habe, weshalb sie die Sachen nun umtauschen wolle. Dummerweise fand sich kein Kassenbeleg. Denn nach ihrem Einkauf hatte sie ihren Mann im Krankenhaus besucht, und da dieser Fleisch verabscheute, hatte sie ihm Fisch in Tomatensauce mitgebracht - und im Einkaufsbeutel erst viele Tage später den aufgeweichten Kassenbon gefunden. Nun lag dieser Zettel auf Hilfreichs Schreibtisch. Das Datum war nicht zu identifizieren, wohl aber die Nummer der Kasse und die Warenliste: 1 Socken Gr. 32, 7,20 DM, 1 BH . Gr 70 A 29,90 DM , 1 Herrenhemd Gr. 43/44 36 DM. Sie hatte die Wahl, einen Strafbefehl über 350 DM zu akzeptieren oder Einspruch einzulegen und in der Verhandlung einen Freispruch zu erzielen. Sie bestand auf Freispruch. Der Anwalt formulierte den Antrag: »Zum Beweis für die Tatsache, dass die bei Frau Andrioti am 23.12. gefundenen Gegenstände einige Tage vor dem 23.12. an der Kasse 28 der Firma Karstadt bezahlt worden waren, beantrage ich ....« Der Abteilungsleiter erschien mit einer Papiertüte voller Kassenbondurchschlagrollen und gab an, nichts gefunden zu haben. »Ich bitte um Gewährung von Akteneinsicht und Überlassung der Bonrollen zu treuen Händen.« - »Stattgegeben« , sagte der Richter. Der Abteilungsleiter gab Jens die Tüte: »Da drin sind alle Bons vom Dezember« . Hilfreich machte sich auf eine lange Nacht gefasst, er arbeitete sich vom 22.12. rückwärts bis zum 15.12. durch. Ohne Ergebnis. Kurz vor Mitternacht hatte er eine Idee, und tatsächlich hielt er wenige Minuten später den gesuchten Bondurchschlag über Hemd, BH und Socken in den Händen. Nur das Datum stimmte nicht: 27.12.! Hilfreich bewunderte den Erfindungsreichtum seiner Mandantin, vor allem die Idee mit der italienischen Tomatensoße. Als er Frau Andrioti wiedertraf, sagte er: »Entweder Sie beauftragen mich jetzt, den Einspruch gegen den Strafbefehl zurückzunehmen, oder ich lege das Mandat nieder und Sie gehen alleine in die Verhandlung.« - »Wenn nur mein Mann nichts erfährt...«, stöhnte Frau Andrioti, die ahnte, dass der Anwalt ihr auf die Schliche gekommen war. Weshalb der Einspruch still und leise zurückgezogen wurde. |