Februar 2016 - Ausgabe 176
Geschäfte
Das letzte Schnäppchenparadies von Sybille Matuschek |
Ramschläden gibt es keine mehr in der Bergmannstraße. Doch in der Gneisenaustraße versteckt sich noch einer. Im Grunde sieht dieser Laden wie jeder andere Ramschladen aus. Wie Rudis Resterampe, Mäec-Geiz oder »Wulle« . Draußen stehen lieblos gefüllte Gitterkäfige mit Sockenbündeln, Küchenartikeln, Plastikturnschuhen und Plastikrucksäcken. Nur die Preisschilder sind aus Karton und mit blauem Kugelschreiber beschriftet, und die Zahlen auf dem Karton sind meistens noch ein bisschen kleiner als die bei »Wulle.« Trotz dieser viel versprechenden Dekoration ist der Laden selbst bei professionellen Schnäppchenjägern kaum bekannt. Vielleicht liegt es an den merkwürdigen Plüschanzügen in rosa und hellblau, diesen Frottee-Kunstwerken mit dem Konterfei von Bernd dem Brot und den riesenäugigen Mangamädchen, die draußen an der Garderobe hängen und eher abschreckend als anziehend wirken. Oder es liegt an diesen Siebzigerjahre-Pantoffeln, die kein deutscher Opa mehr anziehen würde, oder an der rosa Bettwäsche mit dem Blümchendekor, jedenfalls trägt ein Großteil der weiblichen Kundschaft Kopftuch, während die männliche Variante den Mercedes gern in der zweiten Spur vor der Gneisenaustraße Nummer 83 parkt, um kurz ins Souterrain zu springen und sich »ganz schnell mal« mit dem Überlebensnotwendigsten zu versorgen: Ein paar Batterien, ein Paar Socken, einem Feuerzeug, einer Kombizange, einem Zollstock. Die Damen wiederum tauchen wegen eines Lippenstiftes, eines Büstenhalters, einer Kuchenform, eines Tortenhebers oder einer Sonnenbrille im Souterrain unter. Denn nirgends im Umkreis der Marheineke-Markthalle findet man Unterhosen oder Gummihandschuhe so günstig wie auf der schattigen Seite der Gneisenaustraße. Foto: Dieter Peters
Wenig später ist der Kreuzberger tief ins Reich der Schnäppchen eingedrungen, tastet sich im fensterlosen Souterrain vorwärts, stößt auf einen großen Campingkocher für zehn Euro, auf Gaskartuschen zu 100 Cent, den Induktionskocher von Tchibo mit drei Töpfen, die hier noch viel weniger kosten als beim Kaffeehändler oder bei »Wulle« . Im zweiten Raum stößt der Kreuzberger auf die Elektroabteilung mit Steckdosen, Lichtschaltern, Kabeln, Deckenlampen, Glühbirnen und für die ganz schlauen Sparfüchse sogar einem Energiekostenmessgerät; in der Werkzeugabteilung Zangen, Silikon, Trennscheiben, Farben, Klebebänder; in der Fahrradabteilung Schläuche, Pumpen und Bordcomputer, und in der Haushaltswarenabteilung alles das, was es seit dem Abschied von Angela Spreu aus der Markthalle am Marheinekeplatz leider gar nicht mehr gibt in Kreuzberg: Eierbecher, Butterdosen, Spülbürsten, Besen, Schwämme, Kerzen, Besteck, Tassen und Teller, Zuckerstreuer, Putzmittel, Kleiderhaken, Mottenkugeln, Taschenlampen, Duftöle, Teegläser, Nähzeug und Reißverschlüsse, Wolle und Stricknadeln, Töpfe, Bräter, Kartoffelstampfer und hölzerne Teigrollen, und dickwandige Glasschalen für das Obst auf dem Tisch. Und ganz oben, in selbst für große Muttis unerreichbarer Höhe auf dem letzten Regalbrett unter der Decke die große Dampflok, der rosafarbene Drachen, der Traktor und der schwarze BMW als Spielzeugautovariante. Foto: Dieter Peters
»Bei Ihnen gibt es ja wirklich alles. Ich hab jetzt nicht so viel Geld dabei, aber ich glaube, wir kommen ins Geschäft, junge Frau!« , verabschiedet sich der Kreuzberger mit einer sehr prall gefüllten Plastiktüte. Er war schon wieder draußen auf der Straße, hat sich die graue Hausfassade, die lilafarbene Haustür mit der Nummer 83 und die alten Fenster noch einmal genauer angesehen, ist dann zurückgekommen und fragt: »Kommen eigentlich viele Deutsche hierher?« »Die meisten Kunden sind Deutsche. Unsere Nachbarn sind jetzt auch alles Deutsche. Die Häuser nebenan sind ja alle verkauft und die Mieten so teuer geworden. Das können sich viele Türken nicht mehr leisen. Wenn wir verkauft werden, müssen wir uns auch was anderes zur Miete suchen.« Aber in Kreuzberg werden sie nichts mehr finden. Und dann ist auch der letzte Ramschladen verschwunden. |