Dez. 2016/Jan. 2017 - Ausgabe 185
Essen, Trinken, Rauchen
Bageculture von Saskia Vogel |
Sas hat sich erkältet. Wochen lang lag sie im Bett. Jetzt fühlt sie sich wie weichgekocht. Vollkommen ideenlos. Schweigend sitzt sie ihrem Freund gegenüber an dem winzigen Tischchen. Das bagelcoffee&culture ist keine Quelle der Inspiration. Das Mobiliar aus alten Kinobänken? Nichts Neues! Das Speiseangebot? Kaffee und Teigkringel! Der Avocado-Salat ist lecker, aber der heiße Thymian-Zitronen-Tee schwappt langweilig und längst lauwarm im Glas herum. Das »Culture«-Café hinter dem Baugerüst am lauten und stinkenden Mehringdamm passt gut zu Sas´ mentalem Zustand. Aus den Lautsprechern dröhnt »ZZ Top«. »Langweiliger Laden!«, maunzt Sas nach einer Viertelstunde des Schweigens ihrem Freund zu. Diese kleinen überteuerten Kaffee-Butzen seien überall gleich, »egal, ob in Paris, Bukarest oder Magdeburg!« -»Nun mach aber mal nen Punkt!«, sagt Sas´ Freund. Er ärgert sich über die viele schlechte Laune seiner Freundin. Er hat sich gerade »ein French Breakfast and a Orangensaft« bestellt und – wahrscheinlich zusätzlich wütend über den ungeschickten Versprecher - die anglophone Speisekarte auf den Tisch geknallt. »Scheiß Touristen-Englisch! Please don´t hesitate to have the best coffee in the city!« »Pastel de Nata gibt´s jetzt überall! Und Coffee und Bagels, überall! Und Culture. Überall!« Nur hier nicht. »Kultur gibt es hier nicht. Schau dich doch mal um!« Der Freund deutet auf zwei Mädchen am Nebentisch, in Teddymänteln und mit grünen Fingernägeln. »Schlecht geschminkte Dorfpomeranzen im Hipster-Kostüm.« Eigentlich liebt Sas ihren Freund, weil er immer genau sagt, was er denkt. Manchmal allerdings etwas zu laut. Sas fällt die Kinnlade runter. »Möchtegernkreuzbergerinnen aus Kiel!«, fährt er fort. Sas hebt beschwörend die Hand. »Aber sie passen in den Laden!«, sagt der Freund, der allmählich so stürmisch wird, dass Sas eifersüchtig werden könnte. »Manifestationen der Kulturlosigkeit!« Sas wird immer leiser, ihr Freund immer lauter. Er nimmt jetzt Fahrt auf. »Das war bestimmt mal so ein heruntergekommener Döner-Laden, an dem sich abends drei Nachbarn in Trainingshosen beim Bier trafen. Und dann kam so ein junger hipper Student vorbei, der sich mal eben gedacht hat: Hier mach´ ich mal eben einen auf Kultur und Kaffee. Weil nebenan doch dieser wundervolle Laden mit den vielen Büchern auf der Straße ist. Und die Intellektuellen mögen bestimmt auch ZZ Top und einen Smoothie zu ihrem Houellebecq… und überhaupt! Diese grauenhaften Kunstfellumhänge!« Sas zieht die Notbremse. Ängstlich schaut sie zu den grünlackierten Teddymäntel-Mädchen rüber. Doch die kauen ihren Cream Cheese Parma Ham, tippen eilig auf ihrem Handy herum und bekommen von alledem nichts mit. Gott sei Dank. • |