Kreuzberger Chronik
Dez. 2016/Jan. 2017 - Ausgabe 185

Reportagen, Gespräche, Interviews

Die Damen kommen


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von Sybille Matuschek

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Die Damen kommen. Sie nennen sich Madame & Eva, Lady M, Fräulein Sonntag, Frau Behrens. Namen einer neuen Kreuzberger Weiblichkeit. Doch wer verbirgt sich hinter all den weiblichen Pseudonymen.


Das kennen die alten Berliner noch: Bei Muttern. Das gab es zuerst im Volksmund und irgendwann dann auch in gedruckten Buchstaben über den Berliner Kneipen, in denen es Eisbein, Gulasch, Bier und Herrengedecke gab.

Muttern hatte keinen Namen. Man wusste, sie hießen Rosi oder Gabi, aber ihre Namen standen über keiner Ladentür. Abgesehen von denen einiger rot beleuchteter Souterrain-Einrichtungen. Sonst wagten höchstens Friseurinnen, ihre Vornamen an die Hauswand zu schreiben. Vielleicht, weil in den Friseurinnensesseln noch viel intimere Geheimnisse ausgetauscht wurden, als unter roten Glühbirnen.

Heute stehen ihre Namen überall. Sie heißen Anna oder Eva, kommen aus Osnabrück oder aus Stuttgart, eröffnen in der Bergmannstraße ein Geschäft und schreiben nicht etwa »Elektro-Rosi« oder »Eisen-Jutta« über ihren Laden, sondern einfach nur noch ihre Namen. So als wohnten sie seit dreißig Jahren hier, und als wüsste jeder, wofür ihr Name steht. Sie schreiben nicht »Sonntagskleider«, damit man ahnt, dass es hier weiße Röcke, beige Blusen und cremefarbene Kleider gibt, sondern sie schreiben Fräulein Sonntag. Sie schreiben auch nicht »Lady M´s Unterwäsche«, damit man ahnt, dass es um Dessous geht. Sie schreiben einfach Lady M. Auch Mary M. in der Heimstraße könnte ebenso gut Schuhe oder Latzhosen verkaufen wie Haarschnitte. Es scheint, als reiche heute ein schöner Name aus, um Geschäfte zu machen. Als reiche es, nach Kreuzberg zu kommen und zu sagen: Hallo, hier bin ich, ich bin toll!

So wie Anna aus der Schönleinstraße. Sie ist noch am Renovieren, aber sie hat schon mal ein großes Stück Pappe ins leere Schaufenster gehängt, um darüber aufzuklären, was kommt. Doch wo früher ein Bäcker »Hier eröffnet demnächst eine neue Leckerback-Filiale« schrieb, schreibt Anna heute: »Bald kommt Anna!«

Schon vor Jahren eröffnete Vera Breitenbach in der Bergmannstraße eine Boutique für Strickmode und schrieb nichts als ihren Namen über den Laden. Aber sie blieb fast zwanzig Jahre lang die einzige. Jetzt sind die weiblichen Vornamen in Mode gekommen. Eine »Eventfloristin« in der Graefestraße nennt sich Eva Blume, und Fridas Café heißt natürlich Frida Café. Vom Humor in Kreuzberger Geschäftsnamen wie Reißender Absatz oder Bag Age ist nicht viel geblieben.

Manchen Geschäftsgründerinnen allerdings scheint ein Vorname allein zu nackt zu sein. Sie kleiden sich deshalb gern zusätzlich mit Titeln wie Madame, Lady, Frau oder Fräulein, die einen Hauch von Vornehmheit ins einstige Armenviertel bringen sollen. Auch das Café MadaMe spielt mit der nach französischer Noblesse klingenden Vokabel. Warum man das zweite »M« so groß schreibt wie das erste, kommentiert der junge Mann hinterm Tresen mit einem echt-französischen Akzent und mit der Nonchalance echt französischen Schulterzuckens. Auf jeden Fall führt der noble Name in die Irre, denn das Café hinter den schmucklosen Zementfassaden am Mehringplatz ist mit seinem günstigen Mittagstisch, den Leseabenden und Filmvorführungen eher ein multikultureller Nachbarschaftstreff als ein Café, in dem sich feine Damen neben einer Tasse Kaffee das glänzende Näschen pudern.

Foto: Dieter Peters
Auch bei Madame und Eva irrt sich der Beobachter, der meint, hier habe sich eine frisch geschiedene Pariser Modemacherin samt zickiger Tochter in der Friesenstraße eingekauft. Die junge Modedesignerin ist in Kreuzberg geboren und verfiel auf der Suche nach einem Namen für ihre Verführungen aus Stoff auf die Bibel-Protagonisten Adam und Eva unter dem Apfelbaum. Weil Mode »immer auch ein bisschen Verführung« sei. Da sie jedoch nur Kleider für Mädchen und Frauen in ihrem Sortiment hat, stellte sie dem Adam noch ein »M« voran und hängte hinten noch ein »e« an. Das »Madame« war nur ein Wortspiel, kein Köder für Frauen, die sich für besonders halten.

Dass sich die politisch überkorrekten Kreuzberger mit noblen Namen schmücken, ist neu. Auch wenn die Schmuckgraefin bereits seit neun Jahren in der Körtestraße »Schmuck und Schmuckes« verkauft. Es wird womöglich nicht mehr lange dauern, dann werden auch Baronessen und Prinzessinnen dort, wo einst Brötchen, Kohlen, Steckdosen, Schrauben und Holzleisten verkauft wurden, kleine Läden voller hübscher Überflüssigkeiten eröffnen. Die Schmuckgraefin ist eine echte Kreuzbergerin, und eine echte Gräfin Margret Schlippenbach. Ähnlich wie die Madame aus der Friesenstraße ist auch sie nicht erst kürzlich zugereist, sondern hat ihren »Lebensmittelpunkt schon lange in Kreuzberg«. Sie hat sich jahrelang auf Trödelmärkten herumgetrieben und weiß, dass auch Kreuzbergerinnen Prinzessinnenträume haben von Prinzen, schönen Kleidern und glänzendem Schmuck.

»Und dann« hat sie da eben »noch diesen Namen mit ner Gräfin drin – genial! Was lag da näher, als die Schmuckgraefin zu werden?« Natürlich ist der Schmuck aus dem aristokratischen Schmuckkästchen kein billiger Modeschmuck, weshalb Frauen auf Sonntagsspaziergängen ihre Männer gern durch die Körtestraße führen, um dann wie zufällig in das Schaufenster zu blicken und zu sagen: »Du-uu, und wenn du mir mal etwas schenken willst: Dieser Ring da, den finde ich eigentlich ganz schön!«

Foto: Dieter Peters
So wie die Schmuckgraefin nennt auch Frau Behrens die Sache gleich beim Namen. Frau Behrens Torten heißt Kuchen-Geschäft. Es ist aber gar nicht Frau Behrens, die da so viel backt, sondern Victoria Fernandez, ein klingender Name also, über den jede Werbeagentur glücklich gewesen wäre. Es ist eine rührende Geschichte, die die Frau aus Galicien erzählt, wenn man nach dem umständlichen Namen fragt, eine Geschichte von kalten Tagen, an denen sie im Winter mit dem Fahrrad, weil sie »kein Geld für den Bus hatte«, ihre selbst gebackenen Kuchen an eine Hand voll Cafés lieferte. Es ist die Geschichte von Frau Behrens, die einmal ihre Schwiegermutter hätte werden sollen und die auf ihr Enkelkind aufpasste, wenn Victoria zum Deutschunterricht musste; die ihr Kuchenrezepte brachte, mit ihr Einkaufen ging und beim Backen half. Dennoch schien es Frau Behrens kalt zu lassen, als Victoria in Friedenau ihren ersten Laden eröffnete und ihn, der Schwiegermutter zum Dank, Frau Behrens Torten nannte. »Erst, als sie den ersten Lieferwagen mit dem Schriftzug und ihrem Namen sah, da kamen ihr die Tränen.«

Foto: Dieter Peters
Auch in dem neuen Modegeschäft in der Nostitzstraße steht nicht wirklich Fräulein Sonntag hinter der Theke. Fräulein Sonntag heißt eigentlich Melanie Deininger und hatte schon in Stuttgart ein Fräulein Sonntag. Der Name steht für Sonntagskleider, also jene guten und teuren Stücke, die von Montag bis Samstag im Schrank hängen und nur bei gutem Wetter getragen werden. Eine gutbürgerliche Angewohnheit, die in Kreuzberg zuletzt in den Fünfzigerjahren beobachtet wurde.

Fräulein Sonntag könnte es mit ihrer konventionellen Konfektion im Herzen Kreuzbergs schwerer haben als Vera Breitenbach mit ihrem selbstgestrickten Alternativprogramm. Zumal Fräulein Sonntag auch noch in dem Ruf steht, den letzten Werkzeugladen aus der Bergmannstraße vertrieben zu haben. Jeder in Kreuzberg kannte Leistenschlumm, 65 Jahre lang versorgte er die ewig renovierenden Kreuzberger mit allem, was sie zum Renovieren brauchten. Aber »diese Leute, die jetzt hierher ziehen, renovieren ja nicht mehr selbst. Die lassen renovieren.« Die brauchen keinen Schlumm mehr. Also suchte er einen Nachmieter für den Laden, und da kam das Fräulein Sonntag und versprach ihm eine Ablöse für die Heizung, von der sie hinterher nichts mehr wissen wollte. Woraufhin Schlumm als letzte Amtshandlung Rohre und Heizkörper wieder aus der Wand riss. Die Geschichte machte die Runde in der Straße, alles sah nach einem glatten Fehlstart der Stuttgarterin aus, die den Berliner »Sacklook nicht mag«, aber »Weiblichkeit schön findet«.

Doch so unsolidarisch und unpassend die Geschäftsgebaren der neuen Besitzerin sein mögen: Auch sie kam nicht aus finanziellem Kalkül und um in Kreuzberg Geschäfte zu machen. Sie kam, genau wie Victoria Fernandez, um hier zu leben. Dann erst entschied sie sich, einen Laden zu eröffnen. »Einfach, weil ich schöne Kleider mag.«

Es sieht aus, als würden sich Kreuzbergs neue Ladenbesitzerinnen kaum von jenen unterscheiden, die in der Kreuzberger Gründerzeit kamen, um Trödelläden, Secondhandshops, Cafés und Postkartenläden zu eröffnen. Aber es gibt eine Unterschied: Die Kreuzberg-Gründerinnen der Siebziger-Jahre brachten weniger Geld mit. Sie renovierten ihre Läden selbst, bauten Regale, malten Schilder, erfanden Namen und verliehen Straßen wie der Bergmannstraße einen unverwechselbaren Charakter. Heute reihen sich Läden und Cafés aneinander, die sich kaum voneinander unterscheiden. Es wird nicht mehr lange dauern, dann sieht auch diese Straße aus wie irgendeine dieser langweiligen Straßen in Osnabrück, Münster oder Bielefeld. •


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