Dez. 2016/Jan. 2017 - Ausgabe 185
Kanzlei Hilfreich
Otto Norbert Siegfried von Kajo Frings |
Wie es dazu kam, dass die Mutter von O. N. S. eine 1996er Trockenbeerenauslese über Hilfreichs weißes Hemd goss. Es geschah in den guten alten Zeiten, als es noch kein Amazon gab, sondern Quelle, Schöpflin und Neckermann. Frau Prof. Dr. Jutta Niemann, eine Tresenfreundin aus Riehmers-Tagen bzw. -Nächten, kam zu Jens. Sie hatte in den 70ern ihr Studium einige Zeit unterbrochen und die Folge eines One-Night-Stands auf die Einschulung vorbereitet. Dass sie ihren Sprössling Otto-Norbert-Siegfried genannt hatte, fand sie witzig. Sie selbst schaffte es zum zweiten Staatsexamen, einer Professur an der Fachhochschule für Rechtspflege und jüngst zum Dr. jur. Gegen »ONS« allerdings, der mittlerweile 19 Jahre alt war, lief ein Strafverfahren. Betrug, Urkundenfälschung, Unterschlagung. »Jens, du machst doch Strafrecht. Die klagen meinen Kleinen an. Hol den da raus. Ich würd das ja selber machen, aber die geben mir als Mutter noch nicht mal Akteneinsicht. Wegen Geld musst du dir keine Sorgen machen, das kriegst du aus der Staatskasse, ONS ist nämlich unschuldig. Er hat es mir selbst gesagt.« Jens las die Akten und lachte. Dann rief er ONS an. »Also mal Tacheles: Wer sagt es deiner Mutter? Du oder ich? - Okay, ich werd mit ihr mal gut essen gehen. Da wo wir in den Achtzigern tanzen waren, ist jetzt das Restaurant »E.T.A. Hoffmann«, da steht ein interessanter Koch am Herd.« Jens traf sich mit Jutta auf ein Menü mit Weinbegleitung. Bevor das Dessert gereicht wurde, kam er zur Sache: »Pass auf: Es gibt da eine Gaunermasche. Jemand bestellt beim Versandhaus irgendwelche Waren auf den Namen eines Nachbarn, der tagsüber nicht zu Hause ist. Wenn der Postbote kommt, vergeblich klingelt, steht der Gauner im Flur, nimmt das Paket in Empfang, unterschreibt mit falschem Namen und verscherbelt anschließend den Inhalt.« »Aber mein ONS doch nicht!« »Auf jeden Fall hat ein Gauner mit diesem Trick unter verschiedenen Adressen in eurer Straße Waren im Werte von 4.000 Mark bestellt und nicht bezahlt. Mit unterschiedlichen Namen, aber derselben Handschrift. Zuletzt 1000 Visitenkarten aus Büttenpapier mit dem Aufdruck »Prof. Dr. Jutta Niemann«. Also wenn du es nicht warst....« Jutta erstarrte. Jens bestellte ihr noch ein Dessert mit Weinbegleitung und fuhr fort. »Im Alter von 18 bis 21 wird Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet. Wenn wir eine Reifeverzögerung nachweisen, kriegt ONS maximal ein paar Tage Jugendarrest. Zahlen muss er die bestellte Ware eh. Und für Reifeverzögerung wegen schwerer Kindheit reicht für einen Richter in Moabit: Entweder beide Eltern sind Lehrer oder Psychologen oder...« -Jens legte eine Kunstpause ein -»alleinerziehende Mutter!« -»Arschloch!«, rief Jutta und schüttete ihm die 1996er Trockenbeerenauslese ins Gesicht. Jens hatte so etwas vorausgesehen und ein buntes Hemd mit Rottönen ausgesucht. • |