Kreuzberger Chronik
April 2016 - Ausgabe 178

Briefwechsel

Was hier passiert ist beschämend


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von Robert Scharbach

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Robert Schabach zu »Kein Frieden auf dem Friedhof«, Ausgabe 177

Sehr geehrter Herr Korfmann

Ich wohne am oberen Ende der Heimstraße, eines meiner Zimmer grenzt an den Friedhof. Schon vor Jahren haben wir einen Antrag gestellt, um in den Brandwänden auf der Ostseite der Seitenflügel Fenster einbauen zu dürfen. Licht bekommen wir nur durch ein Fenster zum Hof. Durch die Öffnung nach Osten hätten wir Morgensonne und einen Blick bis zum Südstern. Doch die Kirche lehnte ab. Seit ich Ihren Artikel in der Kreuzberger Chronik gelesen habe, verstehe ich auch, warum. An Brandwände kann man problemlos anbauen!

Wie ich beim Spaziergang über die Friedhöfe erfuhr, wird nicht nur der Streifen entlang der Jüterboger nicht mehr mit Gräbern belegt, um später bauen zu können, sondern auch die Ecke am westlichen Ende, dort, wo ich wohne. Auch entlang der Bergmannstraße wird man Probleme haben, Angehörige zu bestatten, auf dem von Ihnen beschriebenen Porscheparkplatz wird es jedenfalls kein freies Plätzchen mehr geben, auch nebenan sind die Flächen schon verdächtig leer.

Es sieht danach aus, als hätten sich Senat und Kirche gegen Bevölkerung und Natur verschworen. Man möchte bauen, das bringt Geld. Dabei hat die Kirche genug davon, wie umfangreiche christliche Bautätigkeiten in der Stadt beweisen. Zudem erhält sie jährlich Zuwendungen aus dem Staatshaushalt in Höhe von 298 Millionen Euro. Geld, um einen arbeitslosen Gärtner einzustellen, hat sie trotzdem nicht, lediglich zum Kauf neuer Maschinen, die gerade dabei sind, ein einmaliges Naturidyll maschinengerecht zu machen und damit systematisch zu zerstören. Nach meinen Beobachtungen sind in den letzten Jahren 70% der Vegetation abgeholzt worden.

Seit 6 Jahren gleichen diese Friedhöfe einer Baustelle. Ein Ort der Ruhe und des Abschieds ist das ebenso wenig wie ein Hort für die über 60 Vogelarten, die dokumentiert wurden. Täglich verschwinden Hecken, Büsche, Bäume, die Vögel haben sich auf den südlichen Teil des Luisenstädtischen Friedhofs zurückgezogen, der zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Er hat eine Alibifunktion und dient der Verwaltung jetzt als Rechtfertigung, um auf den restlichen Friedhöfen die am Computer erstellten Vorstellungen eines Friedhofparks auf Teufel!!! komm raus umzusetzen.

Die Verwaltung beruft sich auf Grabbesitzer, die das Laub auf den Wiesen bemängeln. Doch diese Ordnungsfanatiker sind längst die Minderheit, all jene, die sich heute für eine Ruhestätte an der Bergmannstraße entscheiden, lieben diese Friedhöfe der Natur wegen und werden durch die neue Bewirtschaftung im Nachhinein betrogen. Einige, die sich und ihre Angehörigen in der Schönheit dieser Landschaft beerdigen lassen wollten, wollen das schon jetzt nicht mehr.

Die Kirche hat den Auftrag, die Schöpfung Gottes zu bewahren. Sie tut das Gegenteil. Was hier passiert, ist beschämend! mfG R. S.


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