Kreuzberger Chronik
September 2015 - Ausgabe 172

Herr D.

Der Herr D. und die Jorgosse


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von Hans W. Korfmann

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Der Mann hinter der Theke zog die Stirn kraus. »Nur zehn!«, sagte er. »Wie?«, sagte der Herr D. zu dem Neuen, der mit Zigaretten, Süßkram und Flaschen Geld verdienen wollte. »Sie nehmen nur zehn?« - »Ich habe keinen Platz für leere Flaschen. Nach jedem Straßenfest kommen diese Penner mit Taschen voller Pfandflaschen.« - »Sie sind in Kreuzberg!«, sagte der Herr D. »Quatsch«, sagte der Türke, »Kreuzberg ist tot. Hier wohnen doch alle schon in Eigentumswohnungen! Solidarität gibt’s hier nicht mehr.«

Wenig später, in der Heimstraße, sah der Herr D. in einem kleinen Café einen Zettel an der Scheibe: »Akzeptiere auch Drachmen!« Ein Stück weiter hing an einer Haustür ein Plakat, das zur Solidarität mit Griechenland aufrief. Und an eine Häuserwand hatte jemand in Erinnerung an John Lennon »Give Greece a Chance« gesprüht. Wieder ein paar Meter weiter traf er Jorgos, den Wirt vom griechischen Restaurant. Der hat auch schon eine Eigentumswohnung, dachte der Herr D.

»Weißt du, erst sagen sie, wir sollen die Hosen runter lassen, und dann sagen sie, das gefällt uns nicht.«, sagte Jorgos. Eigentlich hielt sich Jorgos aus der Politik heraus - auch wenn er sein Restaurant einst nach einem griechischen Politthriller mit Yves Montand benannt hatte. »Weißt du, wir hatten die gleiche Situation schon einmal, damals, mit Papandreou!«

Der Herr D. konnte sich erinnern, wie überrascht und enttäuscht er gewesen war, als Jorgos Papandreou 2011 mit ernstem Gesicht vor die Kameras der Weltöffentlichkeit trat und ganz unerwartet sein Amt niederlegte. Papandreou war ein international angesehener Politiker aus einer Familie, die seit Jahrzehnten die Geschicke Griechenlands mitbestimmt hat. Auch er hatte das Volk befragen wollen, ob man auf die Forderungen der EU eingehen sollte oder nicht. Damals hatten die Europäer das Referendum verhindern können, Alexis Tsipras aber hat es geschafft. Und die Griechen haben Nein gesagt.

»Und jetzt, obwohl wir Nein gesagt haben, setzt er sich wieder mit diesen Gangstern an einen Tisch!« Jorgos war enttäuscht. Der Herr D. tröstete: »Ich bin trotzdem stolz auf euch. Ihr habt euch gegen die Banken aufgelehnt. Ihr wart David, die Goliath. Ihr habt das ganze System in Frage gestellt. Ihr habt es sogar ins Wanken gebracht.«

Am Abend überreichte Jorgos dem Herrn D. seine neue Speisekarte. Da gab es jetzt den lieblichen »Tsipras-Liebling« und den »Grexit-Teller«, dessen Kartoffelpürree das Ende griechischer Esskultur ankündigte. Und den »Varoufakis-Teller« - mit Fleisch vom Jungbullen!

Es gab sie eben doch noch, die Kreuzberger. Jorgos hatte zwar keine Parolen an die Häuserwände geschrieben, aber auf den »Varoufakis-Teller« stürzten sich die Zeitungen. Sogar die Nachrichtenagentur dpa verbreitete eine Meldung über den Wirt mit dem »Grexit-Teller«. Kreuzberg, dachte der Herr D., bleibt eben doch Kreuzberg.

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