Früher, als im Dragonerquartier noch Pferde in den Ställen standen, hatten in der Teltower Straße die Schmiede ihre Werkstätten. Später, als Automobile die Pferde ablösten, und als die Translag-Tankstelle dort, wo heute die LPG ihre Fahrradständer aufgestellt hat, die erste Waschstraße in der Stadt eröffnete, wurden aus den Schmieden allmählich Reparaturwerkstätten für Automobile. Noch heute residieren in den Höfen der Obentrautstraße zwei KFZ-Werkstätten und ein Reifenhändler.
Eine der Werkstätten gehört Joachim Liebenau. Als Liebenau in den Sechzigern bei seinem Vater begann, kümmerten sie sich um die Aufbauten von Anhängern und Lastwagen oder schmiedeten Blattfedern zusammen, Karosserieteile und Eisenträger. Manchmal standen die LKWs die halbe Obentrautstraße entlang und warteten darauf, endlich an die Reihe zu kommen. Die Reparaturen wurden meistens draußen auf der Straße durchgeführt, denn die großen Transporter passten kaum hinein in den schmalen Hof, und durch die kleine Obentrautstraße fuhr damals ohnehin nur selten mal ein Auto.
Berlin war noch ruhig und gemütlich, und wenn die sechs Schrauber, die für Liebenau arbeiteten, in ihren ölbeschmierten Overalls zur Mittagspause in den Hof gingen, konnten sie ihr Werkzeug getrost auf der Straße lassen, »es kam nie irgendwas weg.« Das Geschäft mit den Automobilen war ein gutes Geschäft, der Sohn des Schmieds hatte schon bald seinen eigenen Abschleppdienst, verlieh Kleintransporter, reparierte und verkaufte Automobile.
Bis heute schraubt Liebenau mit Passion. Auch wenn von einst sechs Mitarbeitern nur noch Detlef geblieben ist. Seit fast vierzig Jahren kriecht er jetzt mit Joachim unter die Chassis, schweißt, schraubt, hämmert, baut auseinander und wieder zusammen. Wenn Detlef eines Tages in Pension geht, wird Liebenau sein Hinterhofgewerbe vielleicht abmelden. Mit dem Schrauben aber wird er deshalb nicht aufhören. »Wenn ich keine fremden Autos mehr repariere, dann werde ich an meinen eigenen Autos herumschrauben.«
Foto: Dieter Peters
An den eigenen Autos zum Schrauben fehlte es noch nie. Begonnen hatte es mit einem Simca Nanterre, einem Sportcoupé Baujahr 1955, dessen Erstbesitzer der Schauspieler Georg Thomalla war. Dann folgte der Fiat - »Ein Totalschaden!« - den er sich wieder zusammenschraubte. Dann der Wagen von Sigrid Kressmann-Zschach, der Frau von Texas-Willy, die eine Tanzfläche über dem Swimmingpool hatte und einen 220er Sb - die »legendäre Heckflosse« von Mercedes. Und dann endlich der 230er SL, die so genannte Pagode. An allen diesen Karossen hat er liebevoll herumgebastelt, und keine von ihnen hat er bevorzugt, er hat sie alle geliebt. Mit den Autos ist es wie mit den Frauen: »Sie waren einfach alle schön!« Sogar der gemächliche, dafür aber geräumige Opel Caravan, der nach der Geburt der Tochter in den Hof der Liebenaus kam, war ein schönes Fahrzeug.
Bis heute kann sich Liebenau schwer entscheiden, in welches Auto er steigen soll, wenn er ausfährt. Obwohl da offensichtlich ein gewisses Faible für Alfa Romeo besteht. Liebenau hat einen Alfa Romeo Bertone GT mit schwarzem Nummernschild, der stets so startbereit ist wie sein Fahrrad, das an der Hausmauer lehnt. Aber er hat auch ein rotes Nummernschild für die beiden Romeo-Spider, die in der Garage stehen. Oder für den Alfa-Romeo Giulietta. Er braucht die Zündschlüssel kaum zu berühren, und die Motoren brummen auf. Und dann steht da noch der Praga, Baujahr 1927, mit dem er seine Tochter vor einigen Jahren zum Standesamt fuhr. Wahrscheinlich hat der Autoschrauber in irgendeiner Ecke auch noch weniger auffällige Karossen stehen, einen BMW oder einen Mercedes vielleicht.
Foto: Dieter Peters
Noch nicht ganz startbereit ist der VW-Transporter D, der früher zu seiner Leihwagenflotte gehörte und seit geraumer Zeit in der Werkstatt steht. Er ist jetzt 33 Jahre alt und gilt inzwischen als Oldtimer. Liebenau hat alles bis aufs blanke Blech abgeschliffen, die Ladefläche komplett erneuert. Nur die Räder fehlen und ein paar Kleinigkeiten. Noch etwas länger steht der 230er SL. Schon vor Jahren hat er mit ihm angefangen, aber die Tochter wollte partout im Oldtimer heiraten. »Also hab ich den SL erst mal hier stehen lassen und mich an den Praga gemacht.« Und dann kam ein Auftrag nach dem anderen, es blieb einfach keine Zeit mehr für das Schmuckstück von Mercedes.
Foto: Dieter Peters
Dabei ist gar nicht mehr so viel zu machen. »Der ist ja noch auf eigener Achse in den Hof gefahren«. Vor fast vierzig Jahren. Eigentlich ist er komplett, der Motor surrt und muss nur noch eingebaut werden. Und für die Karosserie hat Liebenau sogar einige Teile aus der Oldtimer-Abteilung von Mercedes gekauft, »pures Blattgold! Da kostet eine einzige Tür so viel wie ein guter Gebrauchtwagen!« Seit Jahren wartet die Karosserie in der alten Schmiede vergeblich darauf, dass der Meister wieder einmal Zeit für sie hat und Hand an das alte Blech legt. Sie wird nicht umsonst warten. Schließlich hat er sie alle lieb. Eines Tages wird er das rote Nummernschild an den 230er schrauben und mit seiner Frau zu einer Spritztour starten. Genau wie früher.
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