Kreuzberger Chronik
November 2015 - Ausgabe 174

Kanzlei Hilfreich

Jens Hilfreich geht in die Kirche


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von Kajo Frings

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Jens Hilfreich war hilflos. So hilflos, dass er die Polizei um Hilfe bat. Und am Ende in die Kirche ging.

Lemke war von Beruf Tischler. Aber das war nicht der Grund, warum er seine vier Meter hohe Altbauwohnung am Chamissoplatz mit einer Holzpaneeldecke auf zwei Meter zwanzig erniedrigte. Der Grund war Lea, eine Filipina. Er hatte sie im Eheanbahnungskatalog von Gwendolyns Freundschaftsdienst entdeckt. Die Liebe begann dann mit einer Brieffreundschaft, er schrieb in Deutsch, das Eheanbahnungsinstitut übersetzte ins Englische und Leas Antworten zurück ins Deutsche. Dass Lea der »Kirche der Heiligen der Letzten Tage« zugewandt war, störte ihn nicht, und so zahlte er Gwendolyn 5.000 DM für Flug und Vermittlung, nahezu sein gesamtes Vermögen. Und dann war ihm die Angst gekommen, dass sich eine so kleine Frau in einer so hohen Wohnung unwohl fühlen würde. Deshalb die Deckenabhängung. Und das sollte jetzt alles umsonst gewesen sein?

Lemke klagte Hilfreich sein Leid. Lea war in Tegel gelandet und wohnte, wie vereinbart, in einer Wohngemeinschaft des Eheanbahnungsinstituts. Damit sie nicht schon vor der Eheschließung zu ihrem »Käufer« zog, verweigerte man Lemke jeden Kontakt, verleugnete Lea am Telefon. Dann warf Günter Lemke die BZ auf den Schreibtisch.

Zwischen »Frau sucht Mann« stand folgende Annonce: »Junge Filipina, 22, treu, anschmiegsam, sucht Ehemann. Da bereits in Berlin, keine Flugkosten. Vermittlungshonorar 3.000 DM.« - »Det is die von Gwendolyn, die woll´n mich verarschen.« - »Und Sie wollen jetzt Ihre 5.000 DM zurück?«, fragte Hilfreich. »Nee, ick will Lea!« - Der Anwalt wählte die Telefonnummer aus der BZ . 3000 DM bar auf den Tisch, dann könne morgen das Aufgebot bestellt werden. Sehen dürfe er Lea leider nicht. Aber es gebe ein Attest, das die Jungfräulichkeit bestätige.

Hilfreich war hilflos. Er rief das LKA an, wurde Stunden lang weitervermittelt, bis er bei einer verständnisvollen Polizistin die Worte »Zwangsehe« und »Verdacht der Förderung der Prostitution« anwandte. So kam es, dass er am Sonntag mit der Polizistin und seinem Mandanten zur »Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage« fuhr. Günter identifizierte Lea sofort, der Verdacht auf Förderung der Prostitution erhärtete sich trotzdem nicht. Aber Lea kam frei und ging mit Günter, obwohl sie sich Günter um einiges jünger vorgestellt hatte. Die Polizistin meinte zum Abschied: »Na, wenn das mal gut geht!« .

Wochen später traf Hilfreich seinen Mandanten in der Markthalle mit seiner neuen, nicht mehr ganz so schlanken, Ehefrau. Lemke grummelte: »Ehrlich, ick hab sie mir eigentlich nur mal näher ansehen wollen, und schon war se schwanger.«

Jens Hilfreich sah ihren Sohn groß werden, und irgendwann, viele Jahre später, erzählten ihm die Eltern, dass er das Abitur gemacht habe und studieren wolle. Und da Frau Lea Lemke allmählich Heimweh bekam, würden sie jetzt alle nach Manila ziehen.



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