März 2015 - Ausgabe 167
Kanzlei Hilfreich
Das Falsche Alibi von Kajo Frings |
Am Waterloo Ufer befand sich in den 80er Jahren das Postamt, auf dem alte Witwen am Monatsende ihre Rente abhoben. Meist ging Bennie hinter ihnen her, schaute, wo sie es versteckten, und gab dann dem »Langen« ein Zeichen. Der ging der Rentnerin hinterher, passte den richtigen Moment ab, schlug ihr mit der Faust das Gebiss in den Hals, nutzte ihre Atemlosigkeit und beraubte sie. Später traf er sich mit Bennie am Friedhof an der Baruther Straße und gab ihm einen Sold von 20 Mark. An einem Freitag, den 30., gegen 10 Uhr traf es Erna B. Der Lange schlug zu. Die Frau verlor nicht nur ihre Monatsrente, sondern ihr Leben. Sie erstickte. Die Polizei setzte eine Belohnung aus und erfuhr, dass ein gewisser Bennie sein Taschengeld als »Späher« aufbesserte. Bennie gestand, und da man davon ausging, dass der »Lange«, der sich abgesetzt hatte, die Tötung des Opfers »billigend in Kauf genommen« hatte, wurde Bennie wegen Beihilfe zum Raubmord angeklagt und Jens Hilfreich zum Pflichtverteidiger bestellt. Es ging nun um die Frage, ob Bennie darauf vertraut hatte, dass die Frau mit dem Schrecken davonkäme. Dann wäre es lediglich Raub gewesen. Jens Hilfreich versuchte, sich ein Bild von seinem Mandanten zu machen, aber an Bennie verzweifelte er. Bennie schien sich überhaupt nichts vorstellen zu können, er machte das, was man ihm sagte. Hilfreich sprach mit seiner Mutter, die hielt Bennie für »blöd wie Stulle, ganz der Vater«. Er sprach mit Bennies Schuldirektor, der sagte, er dürfe nur der Polizei Auskunft geben, nicht einem dahergelaufenen Anwalt. Er sprach mit dem Klassenlehrer, der »leider auch keine Auskunft geben« dürfe, dann aber die Klassenbücher aufs Pult legte und sich verabschiedete. Hilfreich begann, die Klassenbücher durchzublättern: Wie vermutet wurde Bennies Fehlen meistens am Monatsende notiert, aber am 30. fand sich nur folgender Eintrag im Klassenbuch: »Schüler Bennie B. wird um 11.30 Uhr wegen ständigen Störens des Raumes verwiesen.« Jens Hilfreich rief »Heureka«, raste in seine Kanzlei und schrieb einen Beweisantrag: »Zum Beweis für die Tatsache, dass der Angeklagte am Tattag von 8 bis 11.30 ununterbrochen in der Schule war, beantrage ich die Einvernahme der Lehrer…..« Der Staatsanwalt nahm die Ermittlungen wieder auf, Lehrer wurden vernommen und bestätigten das Alibi. Bennie hatte also mehrfach Beihilfe zum Raub geleistet, aber mit dem Tod der alten Dame nichts zu tun. Dennoch bestand der Jugendrichter auf eine Verhandlung, er wollte Bennie ins Gewissen reden. So kam es zu folgendem denkwürdigen Dialog: »Also Bennie, was würden Sie eigentlich sagen, wenn Ihre eigene Großmutter Opfer einer solchen Tat wäre.« - »Keine Sorge, Herr Richter, die Familie hat entschieden, dass meine Omas nicht aus ihrem Dorf wegziehen. Berlin ist einfach zu gefährlich.«• |