Kreuzberger Chronik
Juni 2015 - Ausgabe 170

Strassen, Häuser, Höfe

Vor dem Schlesischen Tor


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von Werner von Westhafen

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Die Straße mit dem langen Namen »Vor dem Schlesischen Tor« führt quer über die Insel. Doch die Lohmühleninsel ist eine schmale und kleine Insel. Auch wenn 6 Brücken sie mit dem »Festland« verbinden, bringt sie es gerade mal auf 6,5 Hektar und ist nur 100 Meter breit und 600 Meter lang. Vielleicht war das der Grund dafür, dass das kurze Stück des Verkehrsweges zwischen der Schlesischen Straße und der späteren Puschkinallee am Anfang nicht einmal Hausnummern besaß. Der Postbote kannte die wenigen Bewohner der künstlichen Insel zwischen dem Kanal und dem Flutgraben ohnehin alle persönlich.

 und den Flussbädern
Karte von 1920 mit der kleinen Straße, der Spree und den Flussbädern
Im Lauf der folgenden Jahre kamen dann auch nur 3 Nummern hinzu. Zunächst standen auf dem kleinen Stück Land lediglich eine Lohmühle (vgl. Kreuzberger Nr. 122 ), sowie die spektakuläre Badeanstalt des Fabrikanten Sachse, der eine seiner Dampfmaschinen dazu nutzte, um die trägen Wasser der Spree ordentlich in Bewegung zu setzen. 1849 eröffnete Sachse an der Spitze der Lohmühleninsel Berlins erstes Wellenbad. Da der Badespaß auch abends kein Ende nehmen wollte, bekamen die Badenden kleine Gaslampen ausgehändigt, um sich damit im und sogar unter Wasser zu tummeln.

Das größte Gebäude auf der Lohmühleninsel errichtete der stadtbekannte Architekt Gustav Möller 1868. Es erhielt die Hausnummer 3 und war das Steuerhaus der Königlichen Wasserinspektion. Schiffer, die mit Getreide oder Vieh aus der Mark auf dem Wasserweg nach Berlin kamen, wurden beim Steuerhaus an der Lohmühle zur Kasse gebeten. Der alte Ziegelbau ist heute die letzte noch verbliebene Zollstation aus den Zeiten der alten Akzisemauer, in den friedlichen Jahren nach dem 2. Weltkrieg wurde der Hof des denkmalgeschützten Gebäudes zu einem von Kreuzbergs beliebtesten Biergärten.
Auch in den ehemaligen Baracken am Ufer des Kanals sind längst Kneipen und Cafés eingezogen, die sich Club der Existenzialisten oder Freischwimmer nennen, da einige DDR-Bürger hier in die Freiheit schwammen.Nach dem Zollhaus und der Badeanstalt entstanden auf der kleinen Insel noch drei weitere kleine Wohnhäuser aus Ziegeln und Fachwerk, und irgendwann in den Zwanzigern eröffnete sogar eine Tankstelle auf der Insel - die erste, die Automobilfahrern auf einem Terrassencafé auch Kaffee und Kuchen und kleine Imbisse zur Weiterfahrt anbot. Heute steht auch das Haus mit der Nummer 2 unter Denkmalschutz, denn die Tankstelle ist die älteste Berlins. Wahrscheinlich gibt es keine zweite Straße in der Stadt, die so kurz ist und gleichzeitig so viele Baudenkmäler aufzuweisen hat wie die Straße vor dem Schlesischen Tor. Noch älter als die Straße mit ihren geschichtsträchtigen Gebäuden ist ihr Name. »Vor dem Schlesischen Tor«, das sagten die Berliner schon, als die Straßen vor der Stadt noch unbefestigte Wege waren, in denen nach dem Hochwasser die Kutschen stecken blieben, und als im Schlesischen Busch, einem kleinen Wäldchen vor der Stadt, noch Wegelagerer lauerten. »Vor dem Schlesischen Thore«, so hieß es auch schon, als der Cöllnische Bürgermeister Bartholdi lange vor der Eröffnung der Sachse´schen Flussbadeanstalt vom Magistrat eine große Meierei kaufte.
Der Städter erweiterte die Landwirtschaft um einen hübschen, großen Garten und verbrachte fortan sonnige Ruhetage auf seinem Landsitz. 1771 hatten die Bartholdis genug von der Idylle und der Landwirtschaft und verkauften das Anwesen samt Brauhaus, Schnapsbrennerei, Ställen und den neu angelegten Obst– und Küchengärten an Daniel Itzig, den jüdischen Bankier und königlich preußischen Hoffaktor.
Daniel Itzig war nicht nur reich an Münzen, Häusern und Latifundien, sondern auch an Kindern. Fünfzehn von ihnen nutzten die Großzügigkeit der Landschaft vor der Stadt zur Erholung.
Einer seiner Töchter waren die Tage vor dem Schlesischen Tor
in so schöner Erinnerung geblieben, dass sie auch mit ihren eigenen Kindern noch ganze Sommer in der Bartholdischen Meierei verbrachte. Bella erweiterte das Anwesen durch den Ankauf angrenzender Wiesen, bis das Grundstück vom Landwehrkanal bis an die Spree reichte. Und da die Gegend vor den Stadttoren mit ihren Flussbädern noch immer eine Idylle war, verbrachte auch Bellas Tochter Lea, die später den Sohn des berühmten Philosophen Moses Mendelssohn heiratete und sich fortan Mendelssohn Bartholdy nannte, mit ihren Kindern noch »herrliche Sommer« in dem alten Landhaus vor den Toren Berlins. Unter ihnen auch ihr Sohn Felix, der später ein berühmter Musiker werden sollte.•



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