Juni 2015 - Ausgabe 170
Strassen, Häuser, Höfe
Vor dem Schlesischen Tor von Werner von Westhafen |
Die Straße mit dem langen Namen »Vor dem Schlesischen Tor« führt quer über die Insel. Doch die Lohmühleninsel ist eine schmale und kleine Insel. Auch wenn 6 Brücken sie mit dem »Festland« verbinden, bringt sie es gerade mal auf 6,5 Hektar und ist nur 100 Meter breit und 600 Meter lang. Vielleicht war das der Grund dafür, dass das kurze Stück des Verkehrsweges zwischen der Schlesischen Straße und der späteren Puschkinallee am Anfang nicht einmal Hausnummern besaß. Der Postbote kannte die wenigen Bewohner der künstlichen Insel zwischen dem Kanal und dem Flutgraben ohnehin alle persönlich. Karte von 1920 mit der kleinen Straße, der Spree und den Flussbädern
Auch in den ehemaligen Baracken am Ufer des Kanals sind längst Kneipen und Cafés eingezogen, die sich Club der Existenzialisten oder Freischwimmer nennen, da einige DDR-Bürger hier in die Freiheit schwammen.Nach dem Zollhaus und der Badeanstalt entstanden auf der kleinen Insel noch drei weitere kleine Wohnhäuser aus Ziegeln und Fachwerk, und irgendwann in den Zwanzigern eröffnete sogar eine Tankstelle auf der Insel - die erste, die Automobilfahrern auf einem Terrassencafé auch Kaffee und Kuchen und kleine Imbisse zur Weiterfahrt anbot. Heute steht auch das Haus mit der Nummer 2 unter Denkmalschutz, denn die Tankstelle ist die älteste Berlins. Wahrscheinlich gibt es keine zweite Straße in der Stadt, die so kurz ist und gleichzeitig so viele Baudenkmäler aufzuweisen hat wie die Straße vor dem Schlesischen Tor. Noch älter als die Straße mit ihren geschichtsträchtigen Gebäuden ist ihr Name. »Vor dem Schlesischen Tor«, das sagten die Berliner schon, als die Straßen vor der Stadt noch unbefestigte Wege waren, in denen nach dem Hochwasser die Kutschen stecken blieben, und als im Schlesischen Busch, einem kleinen Wäldchen vor der Stadt, noch Wegelagerer lauerten. »Vor dem Schlesischen Thore«, so hieß es auch schon, als der Cöllnische Bürgermeister Bartholdi lange vor der Eröffnung der Sachse´schen Flussbadeanstalt vom Magistrat eine große Meierei kaufte. Der Städter erweiterte die Landwirtschaft um einen hübschen, großen Garten und verbrachte fortan sonnige Ruhetage auf seinem Landsitz. 1771 hatten die Bartholdis genug von der Idylle und der Landwirtschaft und verkauften das Anwesen samt Brauhaus, Schnapsbrennerei, Ställen und den neu angelegten Obst– und Küchengärten an Daniel Itzig, den jüdischen Bankier und königlich preußischen Hoffaktor. Daniel Itzig war nicht nur reich an Münzen, Häusern und Latifundien, sondern auch an Kindern. Fünfzehn von ihnen nutzten die Großzügigkeit der Landschaft vor der Stadt zur Erholung. Einer seiner Töchter waren die Tage vor dem Schlesischen Tor |