Juni 2015 - Ausgabe 170
Reportagen, Gespräche, Interviews
Der Viktoriaspeicher von Horst Unsold |
Christoph Böhm hatte in den Achtzigerjahren zum ersten Mal mit der Köpenicker Straße zu tun. Anlässlich der Internationalen Bauausstellung in Berlin arbeitete er an einer fotografischen Dokumentation über die Straße. Drei Monate lang recherchierte er und stieß dabei unter anderem auf das »Zentrallager« für entartete Kunst, das in einem großen Speicher der Berliner Hafen- und Lagergesellschaft am Ufer der Spree eingerichtet worden war. Aber irgendwann war die Bauausstellung Vergangenheit, Böhm wandte sich der Kunst zu und besitzt heute die kleine, aber feine Galerie bauchhund in Neukölln. Die »Köpi« geriet allmählich in Vergessenheit. Dabei war sie eine der interessantesten Straßen Kreuzbergs, an der sich schon Ende des 17. Jahrhunderts französische Handwerker, Kattundrucker und Gerber ansiedelten. 1805 errichteten die Preußen zwischen Fabriken, Villen und Gärten die Heeresbäckerei, jede Woche legten Schiffe vor dem Haus an und lieferten Getreide. Heute lagern in den denkmalgeschützten Gebäuden des Königlich Preußischen Proviantamts Bier und Wein, durch die historischen Backsteinmauern brummen Techno-Bässe, und auf dem holprigen Berliner Kopfsteinpflaster parken die schwarz polierten Limousinen erfolgreicher Jungunternehmer, die ihre Büros hier haben. Die fast vergessene »Köpenicker« scheint wieder interessant geworden zu sein, die Grundstücke an der braunen Spree sind so teuer wie an der blauen Adria. Gegenüber den Nachkriegsbrachen wirbt die GSG auf einem großen Transparent mit dem Lächeln einer Jungunternehmerin für die ausgefallene Wohnlage, »weil die Räume hier inspirierend sind«, und verspricht »viel mehr als nur einen Gewerberaum.« Auch auf der anderen Straßenseite sind zwischen Graffitis und schwungvollen Spraydosen-Buchstaben, die keinen der 200 Jahre alten Klinker verschont haben, »Lagerräume für Gewerbe und Privat« zu vermieten. Und in einer Gründerzeitvilla im Hinterhof, auf die zwischen sechs Linden noch eine kleine Allee zuführt, hängen neben Eingangstür die glänzenden Schilder der Solaris Immobilienmanagement GmbH und der Heeresbäckerei Immobilienverwaltungs GmbH & Co.KG. Die historische Bausubstanz Berlins wird verkauft. Doch allmählich gehen den Quadratmeterhändlern die Quadratmeter aus. Die alteingesessenen Kreuzberger ahnten, dass die süddeutschen Investoren bald auftauchen würden, und besetzten die Brachen. Der Dutschke-Freund Klaus Zapf sicherte sich ein großes Stück an der Spree und stapelt dort seine gelben Umzugscontainer aufeinander wie am Hamburger Hafen. Das einst schwul-lesbische Wohnmagazin Exil, das Jahre lang in den letzten noch verbliebenen Wirtschaftsgebäuden des Anhalter Bahnhofs an der Yorckstraße seine Ausstellungsräume hatte und wegen des geplanten Wohnprojekts im Park ausziehen musste, ist in einen der Spreespeicher gezogen. Auch die Köpenicker 22-25, ein knapp 4 Hektar großes Gelände mit dem Viktoriaspeicher und einigen kleineren Lagerhallen ist »größtenteils vermietet.« Im Erdgeschoss hat ein Gemüsegroßhändler die Rampe besetzt, in den Büroräumen der darüber liegenden sechs Stockwerke haben sich Firmen wie die Biercompany, die flyerei oder so merkwürdige Unternehmenskreuzungen wie »cagnetta - Hundeservice und Grundstücksverwaltung« eingemietet. Platz zum Bauen aber gibt es hier, denn der größte Teil der Fläche ist mit Kopfsteinen zugepflastert, auf denen alte Autos und Getränkekisten herumstehen. Die meisten Quadratmeter sind mit Papierstapeln zugestellt, in einer der niedrigen Baracken neben dem hohen Speicher gibt es »Cash for Paper«. Auch ein Büro des Grundstückseigentümers soll sich dort befinden, doch die Sekretärinnen des Altpapierhändlers, die zum Rauchen auf den Hof müssen, haben nur selten jemanden von den Berliner Hafenbetrieben hier »aufkreuzen sehen. Der geht ein paarmal auf und ab und verschwindet wieder.« Am Speicher, wo ein Schild die »Betriebsstelle Viktoriaspeicher« der Behala verkündet, ist die Tür verschlossen, unter der Telefonnummer ist »kein Anschluss«. Es scheint, als hätte man das Gelände seinem Schicksal überlassen. Selbst ein schwäbischer Investor, der dort, wo sich die Papierberge stapeln, 500 Wohnungen mit Spreeblick, ein Hotel und ein Ärztehaus errichten wollte, ließ die senatseigene Behala laut Berliner Presse kalt. Die Planungen von Wohn- und Bürolofts, Gastronomie und einer neuen Markthalle im denkmalgeschützten Speicher sollen sowohl den Kreuzberger Stadträten als auch dem Senat »zu eintönig« und »protzig« gewesen sein. Blickt man auf das gegenüberliegende Ufer, wo Wowereit und Konsorten mit der O2 World den protzigsten Klotz der Stadt genehmigt haben, erscheinen diese Argumente allerdings wie Ausreden. Womöglich hat man längst andere Pläne oder bessere Angebote. Peter Stäblein von der Geschäftsführung der Behala sagt, dass das Gelände »nicht mehr zum Verkauf aussteht.« Den Kreuzberger Stadträten kann das nur recht sein. Sie wissen, dass Kreuzberger die landeseigenen Immobilien gerne als Volkseigentum betrachten. Und dass sie ihre eigenen Ideen von Stadtplanung haben. Der Galerist Christoph Böhm ist kein Kreuzberger, aber auch er hat eine Idee. Vor zwei Jahren, als in einer Schwabinger Wohnung 1400 verschwundene Gemälde aus dem Bestand der »entarteten Kunst« wiederentdeckt wurden, erinnerte sich Böhm an seine Recherchen zum Viktoriaspeicher, in dem ein Großteil der fast 20.000 konfiszierten Kunstwerke untergebracht war. Hildebrand Gurlitt, der Vater des Schwabinger Kunstsammlers, war beauftragt, einige ausgewählte Werke für die Nazis ins Ausland zu verkaufen. Ein »unverwertbarer Rest« dieser Bilder wurde 1939 in der Kreuzberger Feuerwache an der Lindenstraße verbrannt. Eine kleine Gedenktafel im Hof erinnert an die Kunstverbrennung, der über 4000 Werke zum Opfer gefallen sein sollen. Am Viktoriaspeicher ist keine Gedenktafel zu finden. Warum, fragt Böhm, sollte man den Kunstspeicher der Nazis nicht dazu nutzen, Kunst zu archivieren und an diesen uralten Streit zwischen Kunst und Politik zu erinnern? »Wir haben einen Atelierbeauftragten im Senat, alle beklagen, dass es den Künstlern an Produktionsräumen fehlt, weil private Investoren alles aufkaufen und in Lofts umwandeln. Aber niemand kümmert sich darum, wohin dann eigentlich mit der Kunst.« Böhm erzählt von Künstlern, die von Museen und Archiven angerufen werden, sie möchten doch bitte ihre Sachen abholen. »Ich kenne einen Künstler, der bemalt alles, jedes Brett, das er findet, vorne und hinten, das sind inzwischen 130 Kubikmeter Kunst. So etwas passt in keine Schublade!« Dieter Peters: Der Galerist Christiph Böhm mit Anna
Der Viktoriaspeicher aber gehört der Stadt. Dem Volk. Warum ihn also nicht zum Kunstlager umfunktionieren? Christoph Böhm ist überzeugt, dass die Räume trocken genug und perfekt geeignet sind.Und unten, im Erdgeschoss, könnte man eine Dauerausstellung über entartete Kunst installieren. Am einstigen Ort des Geschehens. Eine Ausstellung, die garantiert zu einem der Highlights für Berlin-Touristen werden würde. • |