Juli 2015 - Ausgabe 171
Die Geschäfte
Boucherie von Eckhard Siepmann |
Luzie drückt die Nase gegen die Scheibe. Drinnen ist es dunkel. Nein, nicht wirklich dunkel, es brennen mehrere Glühbirnen und ein Scheinwerfer, die aber den großen Raum nur schwach erleuchten. Menschen sind nicht zu sehen. »Wat issn dette fürn Laden?« fragt Luzie einen älteren Herrn in Jogginghose, der einen störrischen alten Spaniel hinter sich her die Friesenstraße entlang zieht. »Weeß ick nich, is sowat mit alten Möbeln.« -»Aber wat heest denn dette da obm: Boucherie?« »Weeß ick nich, is französisch, aba Bücher jibs da nich. Da is nur alta Krempel drinne, aba etepetete für feine Leute.« Luzie seufzt, dass sie jetzt doch mal wissen möchte, was das für ein Laden ist. »Ick wohne seit eenunfuffzich Jahrn umme Ecke und hier war imma ne Eckkneipe, un nu loof ick seit zwee Jahrn hier mang, aba et is nie eena hier drinne, wo ma frajn kann, wat dit nu is.« Die Fensterscheibe glänzt vor Sauberkeit, nur die beiden Nasen haben Flecken auf der Scheibe hinterlassen. Dahinter verkleinert ein spanischer Paravent mit Torero den freien Blick in den Innenraum. Auf dem Fensterbrett liegt ein Ochsenknochen, ein Kugelfisch schwebt in der Luft. Nature morte. An der Längswand hängt eine riesige Uhr der Industrie-Marke Siemens und Halske, die aus Chaplins »Modern Times« entsprungen sein könnte. Die Zeiger allerdings stehen still. Darunter steht eine grünspanige Werkbank, auf der zwei Kunst-Kataloge liegen. Einer über Berberteppiche, der andere über Robert Häusser, einen Schwarz-Weiß-Fotografen der Nachkriegszeit, der mit Industriefotografie berühmt wurde. Ein Marokkaner-Teppich verschönert die Wand, und Großfotos von Fertigungshallen. Der gesamte Raum ist in dunklem Industriegrau gestrichen. Ein Spind steht an der Seite, daneben ein leerer Werkzeugschrank. Doch es scheint hier auch gearbeitet zu werden, man sieht eine Bohrmaschine herumliegen. Im Nebenraum ist ein Computerbildschirm zu erkennen. In der Mitte stehen zwei lange Holztische, umgeben von Arne-Jacobsen-artigen Stühlen, ein ledernes Turnpferd aus dem quälerischen Sportunterricht vergangener Schulzeiten fungiert als coole Sitzgelegenheit. Darüber schwebt das hölzerne Skelett eines alten Faltbootes. Es dient zur Umrahmung von vier schwach glimmenden Glühfadenbirnen – ein Lampenschirm der besonderen Art. Ein Riesenlampenschirm aus genietetem Blech hängt auch von der Decke, andere umgebaute Leuchtobjekte stehen herum. Sie alle könnten wie die vielen Film-Scheinwerfer und polierten Blechlampen den Raum womöglich taghell erleuchten. Doch die Boucherie umgibt sich lieber mit geheimnisvoller Dunkelheit. Eine Frau im Business-Outfit kommt auf Pumps die Straße herunter. Luzie fragt: »Entschuldjen Se, Verehrteste, aber wissen Sie vielleicht, wat dit fürn Ladn is? An soner Werkbank hat mein Vadda ooch ma jeackert. Wat machen die mit sowat hier drinne?« Die Frau bleibt stehen und beginnt mit einer sehr ausführlichen Erläuterung: »Das ist ein Geschäft für besondere Wohnungseinrichtungen. Lauter Industrieobjekte aus alten Fabriken, die zu Möbeln uminterpretiert werden. Das sind also sozusagen Unikate für den postmodernen Lifestyle. Die Leute möchten sich ja schließlich ihre teuren Gründerzeitwohnungen und ihre riesigen Lofts in den Gewerbehinterhöfen nicht mit billigen Ikea-Möbeln vollstellen.« - »Jehörn Sie ooch zu dem Laden, oda woher wissense dit mit die Unikate?«, unterbricht sie Luzie. »Ich bin Designerin. Location-Ausstatterin. Schauen Sie sich doch mal die Bikini-Mall am Zoo an. Industrial-Style und Unikate schaffen Atmosphäre. Beispielsweise so ein Arbeiterspind als Spielzeugschrank genutzt individualisiert Ihre Einrichtung doch sehr. Hätte ich auch gerne. Ich muss mal fragen, was das kostet, aber es ist ja irgendwie nie offen hier.« Luzie schüttelt den Kopf. Location-Ausstatterin! »Aba wat issn Boucherie?« - »Boucherie ist französisch, das heißt Metzgerei. Vielleicht, weil die alten Maschinen ausgeschlachtet wurden um coole Möbel zu werden? Keine Ahnung...«, überlegt die Frau. »Ach, auf der Scheibe steht, dass hier übermorgen ein Champagner-Seminar stattfindet. Da kann man sich noch anmelden. Vielleicht ist dann ja auch mal offen. Aber ich muss los, die Arbeit wartet nicht!« »Schampus?« murmelt Luzie zu dem Hundebesitzer, der immer noch neben ihr steht und in die Scheibe starrt. »Menne, ebend hieß det hier noch Molle-Kühl. Da jabs ne kühle Molle Schultheiss, aba war ooch imma leer, nurn paar Männeken am Tresen. Und Billjard! Son Billjard-Tisch is doch ooch wat Schönes.« Der Mann mit seinem dicken Spaniel verabschiedet sich grußlos. Luzie steht plötzlich alleine auf der Fidicin. Da sieht sie, beim Griechen gegenüber, den Justav da sitzen. Der ist zwar auch erst seit 28 Jahren im Kiez, aber Justav weiß immer alles. Vielleicht weiß er ja auch was über den Laden gegenüber. Und dann erzählt Justav der alten Luzie, dass der Laden dem Simon gehört, einem netten Typen. »Der macht das da mit seiner Frau Nina. Die heißen mit Nachnamen Boucherie. Simon ist nämlich Franzose. Der arbeitet beim Film als Requisiteur, und da kauft er eben immer solche alten Sachen für den Dreh, die hinterher keiner mehr braucht. Dann stellt er die in seinen Laden, baut sie um und verkauft sie wieder. Ist aber meistens zu, weil er so oft unterwegs ist. Aber Du kannst den Raum auch mieten, wenn Du mal feiern willst, glaube ich.« »Mieten? Für wen denne? Ick kenn doch sowieso keen mehr hier. Von Justav ma abjesehn.« • Foto: Edith Siepmann
Foto: Edith Siepmann
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