Kreuzberger Chronik
Juli 2015 - Ausgabe 171

Reportagen, Gespräche, Interviews

Kreuzberg zu Verkaufen (4):
Das Dragoner Areal



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von Horst Unsold

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Noch steht das große, vor fünf Jahren für 5 Millionen Euro restaurierte Hauptgebäude des ehemaligen Dragoner-Regimentes imposant am Straßenrand. In Zukunft könnte die älteste Fassade am Mehringdamm, hinter der sich heute keine Soldaten, sondern Beamte des Kreuzberger Finanzamtes verschanzt haben, zwischen hohen Neubauten verschwinden. Niemand weiß, wie es hier einmal aussehen wird, wenn der Investor zwischen den denkmalgeschützten Bauten aus dem 18. Jahrhundert zu bauen beginnt. Denn der stadtbekannte Unternehmer Arne Piepgras, dem die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben die Entwicklung eines mit dem architektonischen und sozialen Umfeld verträglichen Stadtviertels zutraute, ist wieder ausgestiegen. Zurückgeblieben ist eine Immobilienfirma namens EPG Global Property Invest, die auf ihrer Internetseite keine bezahlbaren Wohnungen und keine kulturelle Nutzung der historischen Bauten, sondern nur noch »Maximum Profit« verspricht.

Das bereitet nicht nur kritischen Kreuzbergern Sorge, die in Piepgras von Anfang an einen Strohmann vermuteten, der vorgeschoben wurde, um mit schönen Plänen den Bund zum Verkauf zu überreden. Auch beim Berliner Senat wurde man stutzig und hat im Bundesrat die Pläne der Bundesregierung erst einmal durchkreuzt. Zu deutlich haben die Berliner noch das Desaster des Viktoria-Quartiers auf dem Gelände der Schultheissbrauerei vor Augen, in dem die Berlinische Galerie einziehen und die historische Kreuzberger Mischung von Wohn- und Arbeitsräumen in die Gegenwart transferiert werden sollte: Nachdem die Kultur begraben war, setzte die Baywobau auf jeden freien Quadratmeter zwischen den historischen Gebäuden Eigentumswohnungen. Der geplante öffentliche Raum wurde zur »Gatet Community« mit separaten, abschließbaren Zugängen zum Viktoriapark. Ein einziger Alptraum.

Am 25. Juni sollte im Finanzausschuss des Bundesrates eine endgültige Entscheidung über das Quartier fallen. Doch seitdem herrscht Stille. »Wahrscheinlich ist man noch mit internen Verhandlungen beschäftigt.« , sagt der Steinmetz vom Marmorwerk Wedig. Vor 40 Jahren hat er in einer der historischen Backsteinhallen eine gewaltige Steinsäge aufgestellt, um Marmor aus Carrara oder Granit aus Brasilien zu zersägen. Wedig vermutet, dass da irgendein Tauschgeschäft zwischen Bund und Land ausgehandelt wird.

Was aus den Altmietern auf dem Gelände werden soll, ist bei diesen Verhandlungen nebensächlich. Große Hoffnungen macht sich hier keiner mehr. Der Bund will verkaufen, er braucht Geld. Schon 2011 präsentierte er deshalb das so genannte Dragoner Areal auf der Expo Real in München. 2012 kaufte die ABR German Real Estate aus Hamburg das Land hinter dem Finanzamt für 20 Millionen, trat aber 2014 angeblich »wegen fehlender Planungssicherheit« vom Kaufvertrag zurück. Also verkaufte der Bund noch einmal an den Meistbietenden: An Arne Piepgras und seine Geldgeber. Für 36 Millionen Euro.

Als vor einigen Jahren die Translag- seit den Zwanzigerjahren Generalpächter auf dem Gelände - in Konkurs ging und sich die Republik als Besitzer des Grundstückes hinter dem Finanzamt zu Wort meldete, wurde es ungemütlich. Der KFZ-Meister Kühn, der seit 30 Jahren hinter dem Finanzamt seine Werkstatt hatte und so etwas wie der Bürgermeister des Autoschrauberdorfes war (vgl. Kreuzberger Nr. 96 vom April 2008), musste gehen. Ebenso wie alle anderen, die sich in den ehemaligen Ställen und späteren Garagen eingerichtet hatten. »Auf einmal waren die Brandschutzbestimmungen, die 100 Jahre gegolten hatten, nicht mehr ausreichend. Oder die Garagen waren plötzlich einsturzgefährdet. Jedenfalls wurde allen gekündigt.«


Foto: Dieter Peters
Auch die Tischlerei Maier, die in einem der alten Gebäude ihre idyllische Werkstatt hatte, ist verschwunden, ebenswie das Künstleratelier unter dem Dach. Interessenten für die leeren Hallen und Häuser gibt es genug, doch die Immobilienverwalter des Bundes zeigen kein Interesse an Zwischennutzern. »Nicht einmal, wenn die Interessenten ohnehin nur für einige Monate mieten wollen.« Aber der Bund scheint auf Mieteinnahmen nicht angewiesen zu sein. Auch sonst kümmert er sich kaum um sein Land, die Gebäude sind sich selbst überlassen, die Natur ist dabei, sich die alte Kaserne zurückzuerobern. Auch Hehler, Dealer und Müllentsorger sind auf dem Vormarsch und nutzen die menschenleere Gegend. Eine Wertsteigerung erfährt die Immobilie dadurch nicht.


16 Mieter sind noch übrig, darunter der Bioladen LPG, die Polsterei Surma, die Taxischule Metropol mit ihren vielen Mitarbeitern und die türkischen KFZ-Werkstätten, in denen längst Vater und Sohn, manchmal schon die Enkel mitschrauben. Keiner von ihnen gibt mehr einen Pfennig auf den Mietvertrag, der jederzeit kündbar ist. Sechs Monate würden dem Steinmetz nach der Kündigung bleiben, seine riesige Maschine und die schweren Steinplatten vom Gelände zu bringen, und der Polsterer hätte nur noch drei Monate Zeit zum Packen. Die Schrauber manchmal noch weniger. »Hier kennt noch jeder jeden.« , sagt einer von ihnen. »Aber bald sind wir in alle Winde verstreut.«

Am 25. Juni kamen sie alle noch einmal zusammen. Stadt von Unten, ein breites Bürger-Bündnis gegen Privatisierungen des öffentlichen Raumes, hatte zu einer Demonstration aufgerufen, die vom Marheinekeplatz zum Dragoner-Areal führte. Am gleichen Tag nämlich, so hatte der Tagesspiegel im Mai geschrieben, sollte der Finanzausschuss des Bundesrates darüber entscheiden, ob das Areal nun an die EPG Global Property Invest verkauft wird, oder ob nicht vielleicht doch der Senat das Gelände kaufen darf - allerdings zu einem Vorzugspreis: Nämlich dem sogenannten Verkehrswert.

Doch am 24. Juni stand das Thema noch immer nicht auf der Tagesordnung im Bundesrat. »Wahrscheinlich«, vermutete Bertram Dudschus vom Upstall Kreuzberg e. V., »verhandelt man da erst einmal in aller Ruhe hinter geschlossenen Türen mit der BImA, also mit Schäuble, um dann geschlossen an die Öffentlichkeit zu treten.«

Foto: Dieter Peters
Andere vermuteten, dass man das Thema erst im letzten Moment auf die Liste setzen würde, um das Geschäft möglichst unbeobachtet von Medienvertretern und Bürgerinitiativen abzuwickeln. Deshalb trafen sich die Aktivisten der Stadt von Unten am 25. Juni mit einem großen Puppen-Kopf vor der BImA »zur feierlichen Verleihung des Pinocchio-Preises für Flunkerei» - und lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit schon einmal auf den richtigen Ort.

Tatsächlich veröffentlichte die Senatsverwaltung um 13.43 Uhr eine Meldung, aus der hervorging, dass das Thema »kurzfristig» auf die Tagesordnung gesetzt worden sei. In den Gesprächen habe der Senat abermals angezweifelt, dass der Investor »sozialverträgliches Bauen» garantieren könne und sich gegen einen Verkauf ausgeprochen. Der Senat möchte anscheinend lieber selber bauen. Ob aus finanziellem Kalkül oder moralisch-politischer Verantwortung, wird sich noch zeigen.•





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