Februar 2015 - Ausgabe 166
Essen, Trinken, Rauchen
Die Gleichgültigkeit der Gurus von Erwin Tichatzek |
Schweigend studiert das Paar die neue Speisekarte. »Die alte Karte war immer derart ölig und zerknittert, dass man sie kaum noch lesen konnte. Dafür kostete das Essen nur die Hälfte.« Nach einer Weile klappt das Paar die Karten mit den doppelten Preisen wieder zu. Wenig später steht der Kellner am Tisch. »Ich nehme das Tandoori Hühnchen«, sagt er. »Ich ein Chicken Curry und ein Batura«, sagt sie. »Sehr gerne«, sagt der Kellner. »Wenn ich nicht bald was zu essen bekomme, werde ich sauer.« »Hier geht es doch immer ganz schnell.« »Aber so voll war es noch nie«, sagt er. »Sei doch mal entspannter. Etwas mehr Laissez faire...«, sagt sie. »Ich glaub, das sind neue Besitzer. Die Wände neu, die Karten neu, und die Gäste sind lauter gutgelaunte Touristen. Ekelhaft!« »Ein bisschen Fatalismus täte dir gut...«, sagt sie. »Hier waren früher nur Leute, die für wenig Geld schnell was essen wollten. Wirklich gut war das Essen nie. Aber jetzt?....« »Etwas mehr Gleichgültigkeit...« »Und dann waren hier noch diese Indienfreaks, die den Koch mit seinem Turban anstrahlten, als wäre er der Guru persönlich. Die kannten auch alle noch diese Band, Guru Guru. Die hatten mal einen Hit, der hieß: Der Elektrolurch. Da fragt einer eine Frau auf der Straße: Was war in Ihrem Leben das größte Erlebnis? Und sie antwortet: Der erste Bohnenkaffee nach dem Krieg. - Das ist Fatalismus, mein Liebling!« »Das ist traurig«, sagt die Frau. Der Kellner kommt und stellt einen kleinen Topf Reis, einen kleinen Teller mit Köfte, und eine kleine, heiße Platte mit Tandori Chicken auf den Tisch. Und ein riesiges, aufgeblasenes Brot voller Luft. »Naja«, sagt der Skeptiker. »Nicht so traurig wie dieses Hühnchen. Das war früher immer ein großes, halbes Huhn mit viel Gemüse!« Das halbe Hühnchen hatte jetzt die Größe eines Kanarienvogels. Der Schenkel sah aus wie ein Froschschenkel, der Flügel war ein verkümmerter Stummel, und das Gemüse bestand aus einem zerschnittenen Kohlblatt und zwei verbrannten Zwiebelringen. Er kostete. »Da würde garantiert niemand auf die Idee kommen, dass dieses Fleisch einmal in einer Yoghurt-Marinade gelegen haben soll. Das ist das trockenste Tandoori Chicken meines Lebens!«, sagt er und schiebt alles zurück ganz nah an die Tischkante. Als der Kellner kassieren kommt, sagt die Frau: »Das Huhn war etwas trocken...« – Doch der Kellner lächelt, als habe sie den Koch gerade in höchsten Tönen gelobt, und sagt: »Das stimmt.« »Siehst du: Das ist Gleichgültigkeit! Das ist dieser asiatische Fatalismus, den ich so hasse. Mit dem gleichen Lächeln würden sie dir mitteilen, dass deine zwei Zimmernachbarn gerade vom Hai gefressen wurden. Ne, da bleibe ich lieber schlechtgelaunter Berliner.« • |