Februar 2015 - Ausgabe 166
Reportagen, Gespräche, Interviews
Kündigung für die Kultur von Michael Unfried |
Als die Quadratmeter für Gewerbetreibende in Prenzlauer Berg zu teuer wurden, geriet als alternativer Standort Kreuzberg ins Visier. In den folgenden Jahren eröffneten am Marheinekeplatz zwei Biosupermärkte, eine Boutique für Sexy Mamas, ein Kindergeschäft namens rasselfisch, in dem der Bugaboo-Buggy-Kinderwagen 800 Euro kostete, und ein Laden, der mit gefrorenem Yoghurt Geld verdienen wollte. Jetzt kommt eines dieser Erfolgsgeschäfte vom Prenzlauer Berg sogar in die Markthalle: Auf der Empore im ersten Stock soll ein Supermarkt entstehen, in dem sich vegane Kreuzberger künftig eventuell auch mit garantiert lederfreien Schuhen und schafwollfreien Pullovern, sowie Lebensmitteln ohne die geringste Spur von Milch oder tierischem Eiweiß versorgen können. »Wer braucht denn so was?«, fragt ein Gast in die fröhliche Abendrunde vor Christianos spanischem Feinkostladen. Auch bei dem Griechen in der Halle ist man sich sicher, dass ein Leben ohne Drehspieß keinen Sinn macht. Doch die Veganer, die 2011 in Prenzlauer Berg den ersten veganen Supermarkt Deutschlands eröffneten, konnten der senatseigenen Berliner Großmarkt GmbH ein derart attraktives Angebot auf den Schreibtisch legen, dass sich die Manager der Halle gezwungen sahen, den Mietvertrag mit der Browse Gallery auslaufen zu lassen. Nach jahrelanger, erfolgreicher Kulturarbeit. Die erste Etage war für die Markthallen-Betreiber kein gutes Geschäft gewesen. Glaubt man Gerüchten, die sich im Klima von Marktplätzen und Markthallen traditionsgemäß gut entwickeln, dann hatte die Galerie nur eine symbolische Miete zu zahlen. Auch Bora Özbek, der seit einem Jahr das Amt des »Centermanagers« in der Marheinekehalle bekleidet, ist sich sicher, dass die BGM ein »immenses Unterstützungspotential bewiesen« und immer wieder als Sponsor fungiert hat. Ohne sie hätte das viel beachtete internationale Fotofestival nie stattfinden können. Auch die symbolische Miete war im Grunde eine Subvention, die von der Politik hätte kommen müssen. Ganz uneigennützig waren die Großzügigkeiten allerdings nicht. Die Hallenmanager wussten die ehrenamtliche Tätigkeit der Galeristen zu schätzen. Man war »dankbar dafür, dass hier überhaupt etwas passierte« und die teuer renovierte Fläche nicht vollkommen leer stand. Zu den Ausstellungseröffnungen lockte die Kulturetage zusätzlich Hunderte von Besuchern in die Halle. Sogar Touristen kamen, Namen wie Günter Grass, Kurt Mühlenhaupt und Friedrich Schröder-Sonnenstern waren auch Nicht-Kreuzbergern geläufig, und auch die Reiseführer wurden allmählich auf die Galerie aufmerksam. Die Empore diente der Imagepflege der Senatsfirma, weshalb man die Galeristen mehr als einmal darum gebeten hat, einen »Businessplan zu erstellen«, damit man wenigstens ein Papier in der Hand halte, wenn man mit dem Chef der BGM über die Zukunft der ersten Etage verhandeln musste. Immer wieder habe man angeregt, Eintritt zu verlangen, doch derartige Ideen widersprachen dem Selbstverständnis der Kreuzberg-Aussteller, die hartnäckig die Meinung vertraten, dass Kunst und Kultur kein Geld kosten dürften. Man habe den Betreibern »viel Zeit gelassen«, betont Bora Özbek, und schon vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass der Standort der Galerie gefährdet sei, sobald sich ein Mieter für die Fläche fände. Dass dieser potentielle Mieter zu diesem Zeitpunkt womöglich längst den Fuß in die Halle gesetzt hatte, lässt sich nur vermuten. Tatsache ist, dass die Galeristen just an ihrem Businessplan und einem Antrag für Fördermittel aus der Lottostiftung arbeiteten, als man den neuen Mieter präsentierte. Bedenkzeit gab es kaum für die Galeristen, geschweige denn eine Chance, einen Sponsor für die Miete zu finden. Auch wenn die Hallenmanager der Galerie beim Mietzins noch einmal entgegenkommen wollten: Im Grunde hatte die Galerie keine Chance. So günstig das Angebot der BGM auch gewesen sein mag: Es war zu hoch für die Kulturschaffenden. Der neue Investor mit seinen Partnern aus der Checkpoint Finanz GmbH & Cie KG, die sich »seit über 20 Jahren mit Versicherungen, Kapitalanlagen, Finanzierungen und Immobilien beschäftigt«, ist zu professionell. Gegen ein »Start-Up-Unternehmen« wie Veganz hat die Kunst keine Chance. Doch in der Kreuzberger Markthalle geschieht im Grunde nur das, was auf dem Immobilienmarkt immer geschieht, wenn ein finanzkräftiger Mieter oder Käufer auftaucht: Man kündigt den Altmietern. Natürlich bedauert man diese Kündigung auch bei der BGM, aber »wir sind eben eine GmbH. Wir müssen Gewinn erwirtschaften.« Da spielt es keine Rolle, dass der Chef dieser GmbH zufällig ein Senator und damit eher den Berlinern als dem finanziellen Erfolg verpflichtet ist. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Politik misst man nur noch nach Gewinn, und der lässt auch zehn Jahre nach der kostenintensiven Renovierung der Markthalle noch auf sich warten. Vor allem die Empore war immer ein Verlustgeschäft. Da erscheint der Veganer wie ein langersehnter Heilsbringer am Ende eines dunklen Tunnels. Denn anders als die Galerie hat der Veganer einen beeindruckenden Businessplan vorgelegt. Veganz verfügt über eine »extrem kaufkräftige Kundschaft«. 9000 Veganer leben laut Veganz in Berlin, viele in Kreuzberg. Der Standort sei ideal, zudem sei so ein Supermarkt für die Händler in der Halle keine Konkurrenz. Dass niemand von den Planungen der BGM erfuhr, ist kein Zufall. Es gehört zum schlechten Stil moderner Geschäftsführungen, unpopuläre Entscheidungen geheim zu halten. So hat die senatseigene Markthallenfirma dem Veganer auch geraten, im Vorfeld nicht zu viel Werbung für den neuen Standort zu machen. Schon 2006 musste einer der Markthallenmanager anlässlich der Veröffentlichung der Umbaupläne einräumen, dass er den Widerstand und »die Betroffenheit der Kreuzberger unterschätzt habe«. Und wenn ein Supermarkt - sei er auch noch so lieb und vegan - eine Galerie aus dem Stadtbild verdrängt, die Jahre lang einen engagierten Beitrag zur Kultur geleistet hat, dann könnten die Kreuzberger abermals eine erhebliche Betroffenheit an den Tag legen. »Da werden Millionen in die Berlinische Galerie investiert, die gar nichts mit Berlin zu tun hat, sondern Künstler aus aller Welt ausstellt«, sagt eine ambitionierte Besucherin der Grass-Ausstellung. »Aber so was bringt eben Geld!« Den Auftrag, die Stadt als europäische Kulturmetropole zu repräsentieren, nimmt das Staatshaus nur zum Teil wahr. Ganz anders als das bescheidene Museum in der Markthalle, das auch zu Gunsten einer finanziellen Absicherung nie von seinem Auftrag abwich, sondern konsequent die Geschichte der Kreuzberger Subkultur aufarbeitete. »Ohne die Kreuzberger Boheme der Sechziger hätte David Bowie doch nie den Fuß auf das Berliner Pflaster gesetzt, und die Ausstellung im Gropius-Bau mit ihren 100.000 Besuchern hätte es nie gegeben. Aber wer versteht das schon!« Gerade in den letzten Monaten hat sich die Browse Gallery mit ihren immer professionelleren Ausstellungen zur Kulturgeschichte Kreuzbergs eines wachsenden Besucherstromes erfreut. Der ehemalige Bürgermeister Klaus Wowereit, die Witwe Mühlenhaupts, die Scherben, der Galerist Werner Tammen, namhafte Künstler und Fotografen haben Laudationes gehalten, Kunstwerke präsentiert, diskutiert und erinnert. Die Halle wurde zu einem Treffpunkt für Künstler und Anwohner. Doch für die Markthallenbesitzer war dieser Treffpunkt nur eine Notlösung. 12 weitere Ausstellungen zur Kreuzberger Bohème sind bereits in Arbeit. Jetzt sollen, während in der ersten Etage der Supermarkt eingeräumt wird, unten zwischen Wurst und Käse noch die Arbeiten von John Heartfield und George Grosz ausgestellt werden. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss. Der Centermanager hat den Galeristen angeboten, Glasvitrinen im Mittelgang aufzustellen, um Kunst und Kultur zu präsentieren. Duscha Rosen von der Browse Gallery weiß das Angebot zu »schätzen. Aber für den Erhalt des Kulturstandortes braucht es mehr als ein paar Vitrinen im Mittelgang der Markthalle. Hier ist ein ernsthaftes kulturpolitisches Engagement der Berliner Politik und der Kulturinstitutionen gefragt. Die Browse Gallery hat nicht wie andere einfach darauf gewartet, dass etwas in Bewegung kommt. Sie hat gehandelt und eine klaffende Kulturlücke ausgefüllt, im Grunde ohne öffentliche Fördermittel. Jetzt sind erst mal andere am Zug«.• |