Kreuzberger Chronik
Februar 2015 - Ausgabe 166

Kanzlei Hilfreich

Fliegende Teller


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von Kajo Frings

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Es gab eine Zeit, in der Jens Hilfreich noch daran glaubte, dass sich Menschen durch gute Argumente in ihrer festgefahrenen Überzeugung ändern lassen. Es waren die Lehrjahre eines noch sehr jungen und optimistischen Juristen, der er sich sogar zutraute, Lehrer beim Streit um das Umgangsrecht für die Kinder aus der geschiedenen Ehe zu vertreten.

Als Hilfreich das erste Mal einen in Trennung lebenden Vater vertrat, der seine Kinder wenigstens am Wochenende sehen wollte - was ihm die Mutter wegen der fehlenden Bereitschaft des Vaters zur Zahlung von Geigenstunden für den Sohn, den nichts mehr interessierte als Märklin-Eisenbahnen, strikt verweigerte - beantragte Jens Hilfreich, die Akte an die Staatsanwaltschaft zu übergeben. Gleichzeitig wies er die Richterin auf den § 239b StGB hin, in dem die Geiselnahme etwas umständlich, aber sehr genau definiert wird:

»Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.«

Die Familienrichterin entgegnete dem vielleicht etwas zu siegesgewiss grinsenden Jens Hilfreich: »Herr Anwalt, wir sind hier nicht im Strafrecht, sondern im Umgangsrecht. Und wollen Sie denn wirklich, dass ein Kind seine Mutter 5 Jahre lang nur in der Besucherzelle der JVA-Charlottenburg sieht?«

Jens Hilfreich war verzweifelt. Es war immer dasselbe: Wenn ein Mann eine Frau wegen einer anderen verließ, wurde es unangenehm. Entweder war die Betrogene derart enttäuscht, dass sie – wie schon in der griechischen Mythologie – ihre gemeinsamen Kinder und die Freundin kurzerhand umbrachte, oder aber sie entzog dem Mann die gemeinsamen Kinder, um sie dann gemeinsam mit einem neuen Mann großzuziehen, der den Bankert in aller Regel aufopferungsvoll wie seinen eigenen Sohn erzog.

Jens Hilfreich erinnerte sich an einen Dialog in seiner Kanzlei, die Scheidungsmandantin bat ihn um seinen Rat: »Herr Anwalt, immer wenn ich meinem Mann ein Essen koche, das er nicht mag, wirft er mit dem Teller nach mir. Meinen Sie, es könnte meine Chancen im Scheidungsverfahren verbessern, wenn ich mal kurz vorher unseren Jüngsten auf den Arm nehme und dazwischen halte?« Jens entzog sich dem Dilemma mit einer Gegenfrage: »Wollen Sie jetzt eine juristische oder eine moralische Antwort?«•


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