Kreuzberger Chronik
Dez. 2015/Jan. 2016 - Ausgabe 175

Geschäfte

Kunst und Käse


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von Sybille Matuschek

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Niemand weiß, was Kunst und Käse gemein haben. Bis er die Solmsstraße betritt.

Eigentlich sollte die Kunst im Vordergrund stehen, nicht das Käsegeschäft. Eigentlich sollte dieses Haus in Rögnitz auch nicht mehr sein als eine dieser »Wochenendscheunen« , in denen sich die Städter erholen konnten. Aber dann stellte sich heraus, dass dieses Haus keine kleine Scheune, sondern eher ein richtiger Gutshof mit allem Drum und Dran und viel zu groß war, um dort nur die Wochenenden zu verbringen. Aus dem Haus am Schaalsee, der »in den letzten Minuten der DDR« schnell noch unter Naturschutz gestellt und nach dem großen Regierungswechsel zum Biosphärenreservat wurde, musste irgendwie mehr gemacht werden. Ein Kunstprojekt zum Beispiel.

Schließlich heißt es ja nicht Käse & Kunst, sondern Kunst & Käse. Tatsächlich haben Ute und Martin Rohrbeck, die Theatermalerin und der Filmproduzent, den landwirtschaftlichen Hof zuerst einmal zweckentfremdet, indem sie gemeinsam mit Künstlern und Autoren aus der Gegend eine umfassende Ausstellung zu Joachim Ringelnatz installierten. Aber die Kunst, das wussten sie, ist ein trockenes Brot, und so kam ihnen in einer langen Faschingsnacht die Idee zu Kunst & Käse. Natürlich Ziegenkäse. Denn sie lieben Ziegenkäse.

Ein Jahr lang stellten sie ein paar der meckernden Tiere bei sich auf den Hof und experimentierten mit der Milch. Dann kam Roger Meyer zur Capellen, der mit Obst- und Gemüsekisten von Dorf zu Dorf fuhr und mit jedem ein Schwätzchen hielt. Roger war ein echter Landwirt, der eigentlich »auf Kuh gelernt hatte« , aber nicht abgeneigt war, auf Ziege umzusatteln. Inzwischen, 15 Jahre später, hat er 120 Ziegen, 900 Schafe, sechs Kinder und eine Frau. Und Ute Rohrbeck hat vier große Käsekessel. Zwischen März und Oktober beliefert Roger die Käsemanufaktur täglich mit 300 Litern Ziegenmilch, genug, damit Ute Rohrbeck nach Lust und Laune weiter experimentieren kann.

Einige Versuchsergebnisse tragen poetische Namen: Es gibt die »Lilie« und den »Dattelvulkan« , die »Dicke Liese« mit ihrem zarten Weißschimmel und die »Tante Bertha« in ihrer bräunlichen Naturrinde. Der Rosmarinkäse heißt »Ros Marie« , und der zwei Monate alte Schnittkäse mit seiner roten Schale heißt »Meck Prom« . Es gibt strahlend weiße »Zigarren« , und natürlich auch Ziegenrollen und Pyramiden aus Frischkäse. Manchmal gibt es sogar Ricotta aus Ziegenmolke, ein unvergleichlicher Käse, der sich in Griechenland und Italien großer Beliebtheit erfreut, in Deutschland aber eine echte Rarität ist.

Die Rohrbecks, wie gesagt, lieben Ziegenkäse. Zum Frühstück, nach dem Sonntagsbraten, abends zum Rotwein. Aber dass sie einmal so viel Käse umgeben würde, dass sie einmal Läden und Märkte beliefern und in Ute Rohrbecks Heimatstadt Berlin einen Käseladen eröffnen würden, damit hatte keiner gerechnet. Damit der Käse nicht die Alleinherrschaft übernimmt in ihrem Leben, hat Ute Rohrbeck neben Käse noch ein bisschen Kunst in den Laden gepackt. Nicht nur die Bilder wechselnder Künstler an den Wänden des Souterrains, auch die Einrichtung selbst ist eine Kunst. Unterhalb der Decke spazieren an den Wänden Ziegen entlang, ein schmuckloser Schreibtisch von der Straße wird unter Ute Rohrbecks Pinsel ebenso zum Schmuckstück wie die alte Marmorplatte »vom hässlichen Wohnzimmertisch von Tante Sibylle« . Sogar das Parkett hat die Malerin mit einem Schachbrettmuster überzogen. Man muss keinen Ziegenkäse probieren, um zu verstehen, dass diese Frau Geschmack besitzt.

Auch ihre Verkäuferinnen sind keine kräftigen, rothäutigen Bäuerinnen, sondern zarte, fleißige Wesen. »Die Mädels machen alles alleine.« Ute Rohrbecks »Käsecrew« besteht aus den sechs Freundinnen der Tochter Lale, die Rögnitz am Schaalsee verlassen musste, um in Berlin zu studieren. Die sieben Studentinnen stehen nun abwechselnd hinter der Theke, erstellen Arbeitspläne, machen die Buchhaltung, bestellen Käse, putzen, wenden abends die kleinen Käselaibe. Im Grunde ist es längst ihr Laden, die »Chefin« ist nur noch ihre Lieferantin.

Im Grunde ist das alles ganz wunderbar, der Käse, der Laden, die Mädels. Nur das Brotverdienen mit dem Käse ist so schwer wie mit der Kunst. Ziegen, diese zickigen, meckernden, ewig hungrigen Zweihörner, die kein noch so guter Hirte satt bekommt, erfreuen sich in Deutschland spätestens seit den Gebrüdern Grimm keiner großen Beliebtheit. Sie geben keine Wolle, die Milch ist dünn, das Fleisch der Tiere steht im Ruf, zäh zu sein. Neben den prächtigen Kühen vor der Kulisse schneebedeckter Alpen sahen die Schafe, die Bahndämme abgrasten, und die Ziegen, die von den Bauern an der Leine und in Ställen gehalten wurden, eher mickrig als stolz aus.

Lediglich der Käse hat Liebhaber gefunden. Doch »selbst die eingeschworensten Fans essen nicht täglich Ziegenkäse, sondern vielleicht jeden dritten Tag. Das heißt: Mein Kundenkreis muss drei mal größer sein als der eines normalen Käsegeschäftes.« Ute Rohrbeck hat nie einen Businessplan aufgestellt, sie ist »keine Geschäftsfrau« . Aber wenn die Kasse leer ist, reagiert sie. Und die neueste Reaktion sind die Seminare. Seminare, ahnte sie, laufen immer in einem Alternativ-Bezirk - egal, ob es um Yoga, Führungskompetenz, Stricken oder Käsefabrikation geht. Egal ist es auch, ob der selbst gemachte Käse am Ende teurer kommt als der gekaufte. Der Gewinn ist ideeller Natur. »Es ist das Erlebnis, noch etwas selbst machen zu können« - in einer Zeit, in der es alles fertig zu kaufen gibt. Und in der es für alles Gutscheine gibt, Gutscheine für Boutiquen, Fitnessstudios, Yogakurse und Restaurants. Warum sollte man seiner Liebsten zur Abwechslung nicht einen Gutschein für ein Käseseminar schenken? Zumal diese Gutscheine fast schon wieder kleine Kunstwerke sind.

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