April 2015 - Ausgabe 168
Strassen, Häuser, Höfe
Die Cuvrystraße Nummer 7 von Horst Unsold |
Häuserfronten sind Gesichter. Sie prägen den Charakter einer Straße und geben Aufschluss darüber, ob feine Herrschaften in der Beletage oder einfache Leute im Erdgeschoss wohnen. Nirgends legt man so viel Wert aufs Detail wie bei Häuserfassaden, Balkonen, Portalen und Stuckarbeiten, die nicht nur dem Haus selbst, sondern auch ihren Besitzern zur Zierde gereichen. Die Seitenflügel in den Hinterhöfen dagegen sind oft mit einfachem Putz abgedichtet, die Rückwände nackt und unbedeckt. Doch gibt es Häuser, die man gerade an ihrer Rückseite erkennt, bei denen die der Straße abgewandten Backsteinwände für Berühmtheit sorgen. Eines dieser Häuser steht am Rande einer Brache an der Cuvrystraße, nicht weit von der Spree. Die großen Wandmalereien eines italienischen Fassadenmalers gehörten zu den beliebtesten Fotomotiven der Kreuzbergtouristen. Im Dezember vergangenen Jahres wurden sie über Nacht mit schwarzer Farbe übermalt – eine Protestaktion gegen einen Münchner Investor, der an der Ecke zur Schlesischen Straße die Cuvry-Höfe mit 250 Wohnungen errichten möchte. Der schon traditionelle Widerstand gegen schwäbische Häusle- und Automobilbauer führte zu einer Besetzung der Brache. Erst im Oktober 2014 wurde das Zeltlager von der Polizei geräumt. Die Camper hatten ebenso wenig Chancen wie der Bezirk Kreuzberg, der im Streit um das Gelände vor dem Oberlandesgericht 1999 dem Senat unterlag, der argumentiert hatte, dass es sich um ein Projekt von »außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung« handele. Nun darf der Münchner bauen. Schräg gegenüber dem umstrittenen Grundstück befindet sich das Lido. Nach der Bombardierung des Eckhauses an der Cuvrystraße wurde aus den Trümmern der Flachbau eines Kinos errichtet, das vor allem Ostberliner besuchten, die auf Hollywoodfilme nicht verzichten wollten. Nachdem die Mauer Filme aus dem Westen endgültig zum Tabu machte, erschütterte der Rockpalast Westsidedie alten Grundmauern des Kinos, danach nutzte die Schaubühne den Kinosaal zum Proben. Seit 2006 ist auch im Lido einer jener Clubs eingezogen, die das Berlin der Wende einmal mehr zur Legende machen werden. Das unscheinbare Eckhaus ist einer der wenigen noch verbliebenen Zeugen der Berliner Nachkriegsgeschichte und des schmucklosen Wiederaufbaus Berlins. Ob das flache Mahnmal dem Ansturm der Investoren standhalten kann, ist fraglich. Nicht einmal der Denkmalschutz kann helfen, denn von den Mauern des stattlichen Herrenhauses, das Heinrich Andreas de Cuvry (vgl. Kreuzberger Nr. 93, Dez . 2007), hier errichten ließ, ist nichts mehr zu sehen. Bereits 1825 hatte der Stadtrat die vorteilhafte Lage des Grundstückes erkannt und das Vorkaufsrecht des Senates genutzt, um vor den Toren der Stadt ein gigantisches Stück Gartenlandschaft zu kaufen. Das Anwesen der einstigen Bartholdischen Meierei, einer Landwirtschaft mit Ställen, Weiden und Gärten reichte von der Spree bis zum Landwehrkanal und von der Falckensteinstraße bis zum Lohmühlengraben. Als de Cuvry an der Stelle des heutigen Lido seine Villa errichten ließ, war das Land an der Spree noch ein kleines Paradies, durch das ein sandiger Weg führte. Südlich des alten Feldweges, der schon auf Karten von 1705 den Vorläufer der Cuvrystraße kreuzte und 1839 den Namen Schlesische Straße erhielt, befanden sich einige Gartenhäuser, in denen fleißige Gärtner ihre Alltage und die Herrschaften der vornehmen Häuser ihre Feiertage verbrachten. Die Historikerin Elke von Nieding schreibt: »Ging man über die Cuvrystraße, betrat man den Boden des Großbürgertums. Lange Zeit war nur die südliche Straßenseite bebaut, die nördliche war mit Gärten besetzt. So hatten Habel, de Cuvry und Heckmann ihren Häusern gegenüber Gärten und Gewächshäuser.« Auch die vereinzelten zweistöckigen Häuser von Kleinbauern und Handwerkern mit ihren Ställen und Werkzeugschuppen fügten sich idyllisch ins Landschaftsbild und waren so etwas wie ein Vorläufer der im 20. Jahrhundert berühmt gewordenen »Kreuzberger Mischung«. Dieser »Cuvrysche Garten« mit seinem »Grünen Weg«, der noch zu Lebzeiten des Namensgebers den Namen »Curvystraße« erhielt, war in aller Munde, und das Herrenhaus an der Straßenecke soll ein vornehmes Haus gewesen sein. Im Internet kursiert eine Fotografie, die das noch ländliche Anwesen um 1860 zeigen soll. Doch die Tatsache, dass de Cuvry das Haus zumindest im Sommer als Wohnhaus nutzte, täuscht nicht darüber hinweg, dass er ein Spekulant erster Stunde war. Dreißig Jahre lang, so von Nieding, war der Mann »regelmäßig mit der Verwertung seines Geländes beschäftigt«, parzellierte das Gelände und ließ Mietshäuser errichten. Größere Grundstücke verkaufte er schon zwei Jahre nach dem Einkauf weiter an den Kaufmann Pierre Louis Ravené, den Zuckersieder Habel und an den Kupferschmied Carl August Heckmann (vgl. Kreuzberger Nr. 169 im Mai 2015).Siebzig Jahre später gaben die Erben de Cuvrys ihre letzten noch verbliebenen Besitztümer ab. Die Landschaft aus Villen, Landhäusern und Gärten ist schon lange verschwunden. In der Schlesischen Straße standen die großen Wohnhäuser Spalier, auch die Cuvrystraße wurde auf ihrer ganzen Länge von stattlichen Wohnhäusern flankiert. Die Lücken, die der Krieg in die Häuserreihen gerissen hatte, wurden fast alle wieder geschlossen. Nur ganz im Norden, am Wasser, liegt noch eine letzte große Brache: die Cuvrystraße 50-51.• |