April 2015 - Ausgabe 168
Kanzlei Hilfreich
Die Frau und das alte Fagott von Kajo Frings |
In den vergangenen 70ern riet man dazu, niemanden zu heiraten, mit dem man nicht 14 Tage bei Sturmböen auf einem Campingplatz verbracht hat. Heute heißt es: »Heirate niemanden, der dir nicht 14 Tage lang sein Handy geliehen hat.« Dann kennst du alle Geheimnisse. Und deshalb wird heute jeder misstrauisch, wenn das Handy der oder des Geliebten plötzlich einen Sperrbildschirm zeigt. In den Anfangszeiten des Mobilfunks gab es eine derartige Technik noch nicht. Dennoch kaufte sich Peter auf der Funkausstellung 1993 ein Nokia 1011 für 2300 DM. Er konnte sich das leisten, er war ein gefragter Fagott-Spieler, wurde in ganz Deutschland gebucht und hatte im »Black Rider« von Tom Waits reüssiert. Durch ungeklärte Erbfolgen war er an ein Fagott geraten, dass noch aus der Werkstatt von Vinzenz Püchner stammte, für einen Musiker ein unschätzbar wertvolles Unikat. Peter lebte, wenn er in Berlin war, bei Sonja, die für ihn so etwas war wie der Heimathafen für ein Kreuzfahrtschiff. Eines Abends im Herbst 1993 war es etwas später geworden, als er nach Hause kam. Sonja hatte gefragt, wo er gewesen sei, und er hatte etwas von langen Proben gemurmelt. Dass er sein Fagott gar nicht mitgenommen hatte, war Sonja scheinbar nicht aufgefallen. Doch als Peter am nächsten Tag mit den allmorgendlichen Proben beginnen wollte, fand er statt eines Fagotts nur ein zerborstenes Schallstück nebst Bassröhre in Form von Kleinholz im Instrumentenkasten. Als Jens Hilfreich das Foto des zertrümmerten Fagotts in Sonjas Strafakte sah, tat´s ihm in der Seele weh. Er bereute zutiefst, den Fall angenommen zu haben. Grundsätzlich vertrat er zwei Tätergruppen nicht: Radfahrer, die aus Überzeugung Verkehrsregeln missachteten, und Fahrraddiebe. Beide Tätergruppen waren unfähig zur Unrechtseinsicht. Bei Sonja war die Unrechtseinsichtsfähigkeit ebenfalls gleich null. Sie war der Ansicht, dass Peter froh sein konnte, wenn von seinen beiden »besten Stücken« nur das hölzerne bleibende Schäden davongetragen hatte. Jens Hilfreich verteidigte wie im Fernsehkrimi: Sonja hätte zwar Mittel und Gelegenheit gehabt, aber kein Motiv. Sonja schwieg, und Peters Zeugenaussage blieb nebulös. Das Ergebnis war ein Freispruch. Vielleicht wäre das Urteil anders ausgefallen, wenn der Anwalt erwähnt hätte, dass Peter an jenem Abend, als er zum Proben gewesen war, das Handy bei Sonja hatte liegen lassen. Und dass dieses Handy plötzlich vibrierte. Sonja war verwundert, sah nach und blickte zum ersten Mal in ihrem Leben auf etwas, das man später SMS nennen sollte. Sonjas beste Freundin schrieb: »Es war schön mit Dir. Aber rasier Dich das nächste Mal. Meine Oberschenkel jucken immer noch.« Und da wurde das Weib zur Hyäne.• |