September 2014 - Ausgabe 162
Geschichten & Geschichte
Sonnenstern in der Kohlfurter Straße von Klaus Ferentschik |
Geisteskranker oder Künstler? So fragte schon 1972 der Titel eines Buches. Eine Antwort gibt es auch heute nicht. Im Februar 1970 wurde Friedrich Schröder-Sonnenstern in der Kreuzberger Kohlfurter Straße 35 einquartiert, nachdem er zuvor von einem Quartett vor dem Haupteingang der Karl-Bonhöffer-Heilstätten in Wittenau abgeholt worden war. Hier hatte er die letzten 14 Monate verbracht – und nur mit einem Nachweis über einen festen Wohnsitz konnte seine Entlassung bewirkt werden. Das Empfangskomitee bestand aus Sonnensterns Vormund, dem Rechtsanwalt Lothar Dittmar, dem Künstler Kurt Mühlenhaupt, dem Kunsthändler Timm Rabofsky, sowie Hertha Fiedler, der Chefin der Kleinen Weltlaterne, die im Nachbarhaus eine Bude für ihn anmietete. Wenige Jahre zuvor hatte die Wirtin einen Zechprellerprozess gegen Sonnenstern angestrebt, jetzt aber ihr Herz für ihn entdeckt und freie Kost und Logis angeboten. Gleichzeitig aber hatte der Vormund der Wirtin die Erlaubnis erteilt, Motive seiner Bilder als Siebdrucke zu vervielfältigen. Fortan musste ihr »Untermieter« unzählige Drucke signieren, die Herthas Mann Ingo unermüdlich produzierte. Es kam zu einer inflationären Verbreitung der Kunstwerke – von zehntausend Siebdrucken war die Rede, Stückpreis: 250 Mark. Die Einquartierung des selbsternannten »dreifachen Weltmeisters aller Künstler« in der Kohlfurter Straße bescherte der Kleinen Weltlaterne viel neue Kundschaft. Denn Sonnenstern war ein Original, er erschien in Hausschuhen, langen Unterhosen und Hemd, trank und monologisierte. War nichts los im Lokal, brauchte die Wirtin nur Sonnenstern zu holen, damit Stimmung aufkam. Aber auch Sonnenstern profitierte von den Drucken. In einem Möbelgeschäft am Kottbusser Tor, wo er in einem Hinterzimmer eine Art Büro betrieb, empfing er Freunde und Kundschaft und verkaufte seinerseits Drucke aus dem Hause Fiedler. Mit ihnen zahlte er auch die Taxifahrten, die ihn seinen »Mitarbeitern« führten, bei denen er weiße »Schoellershammer-Kartons«, so genannte »Blankopappen«, signierte und betitelte, damit sie dann die entsprechenden Sonnenstern-Motive darauf malen konnten. Sonnenstern selbst fasste längst keine Buntstifte mehr an - es sei denn, zum Signieren. Auch für Timm Rabofsky betitelte und signierte er »Blankopappen«. Die entsprechenden Sonnenstern-Bilder malte dann Peter Zinke, der eigens zu diesem Zweck bei Rabofsky angestellt war. Als Sonnenstern der Weltlaternenwirtin eines Tages erzählte, dass er auch dem Kunsthändler die Erlaubnis zum Kopieren der Bilder erteilt hatte, wurde sie fuchsteufelswild. Aber das schien ihn kaum zu stören. Es störte ihn auch nicht, wenn er von »seinen« Bildern so gut wie nie eines zu Gesicht bekam. In der Kleinen Weltlaterne jedenfalls wurde gefeiert. Sonnensterns 75. Geburtstag - weil er so schön war - feierte man in den Jahren 1967 bis 1970 gleich viermal. Seine Argumente, das Jubiläum so oft zu begehen, lauteten: »Es sterben mehr Menschen mit 76 als mit 75, also bleibe ich 75«. Oder: »Ich bleibe 75, da kann kommen, was will, denn wenn man mit 75 noch lebt, kann man nicht tot sein.« 1971 aber wurde mit dieser Tradition gebrochen, ganz offiziell beging er seinen 79. Geburtstag. Einen Monat danach brachte das ZDF in der Sendung Aspekte eine Reportage über den Maler, im folgenden Jahr erschienen zwei Bücher über ihn. Eines stammte von Alfred Bader, einem Schweizer Psychiater, der schon 1963 einen Film über Sonnenstern gedreht hatte. Das Buch trug den Titel: »Geisteskranker oder Künstler – Der Fall Friedrich Schröder-Sonnenstern«. Das zweite Buch hieß »Die Pferdearschbetrachtung des Friedrich Schröder-Sonnenstern« und wurde herausgegeben vom Galeristen Jes Petersen, der gleichzeitig einer seiner Kopisten war. Er versammelte darin autobiografische Anmerkungen, Aphorismen, Gedichte, einen Lebenslauf und Auszüge aus Anstaltsakten. Die Buchpräsentation fand im Mai 1972 in der Weltlaterne statt, Sonnenstern fand keinen Platz mehr, man musste einen Stuhl auf einen Tisch stellen, auf dem er Platz nahm und zu reden begann, »in einer so heiteren Ekstase, wie mit Feuerzungen.« Die beiden Publikationen leiteten die Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag ein, der natürlich ebenfalls in der Kohlfurter Straße zelebriert wurde. Die Zeitungen widmeten sich dem spektakulären Ereignis ausführlich, Friedensreich Hundertwasser kam aus Wien angereist, um dem Kollegen einen Druck nach einem Sonnenstern-Motiv zu schenken, in Basel erschien eine Mappe mit sechs Lithographien seiner Bilder. Ausstellungen in München und Hamburg präsentierten »Original-Buntstiftbilder, Zeichnungen, Lithographien«. Ein Beitrag des Ausstellungskataloges befasste sich ausführlich mit Kopien und Fälschungen seiner Werke, einem Thema, das die Kunstwelt und die Medien immer mehr zu beschäftigen begann. Und im Herbst 1973 endlich fand eine große Retrospektive statt, zuerst in der Kestnergesellschaft in Hannover, dann in Berlin im Haus am Waldsee. Es war die bisher größte Ausstellung von Sonnensterns Werken. Bei der Eröffnung der Ausstellung am Waldsee wohnte Sonnenstern noch in der Kohlfurter Straße, bei ihrem Ende schon nicht mehr. Denn als Anfang Dezember Adelheid Sickrodt, die er seit ihrer Kindheit kannte, eine große Wohnung in der Blissestraße bezog, »zögerte er keinen Moment, knallte in der Kohlfurter Straße 35 die Tür hinter sich zu und zog für immer zu ihr.« Die Weltlaternenwirtin wollte das nicht wahrhaben und erzählte allen, Sonnenstern befände sich auf einer seiner berüchtigten Zechtouren – aber von dieser kehrte er nie zurück. Er blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1982 bei Adelheid Sickrodt. • Literaturnachweis: Klaus Ferentschik / Peter Gorsen – Friedrich Schröder-Sonnenstern und sein Kosmos, Parthas Verlag Berlin (Kreuzberg) 2013 Sonnenstern und Hundertwasser / Foto: Dietmar Bührer Foto: D. Friedrichs
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