September 2014 - Ausgabe 162
Kanzlei Hilfreich
Die fliegende Abendkasse von Kajo Frings |
Jens Hilfreich ist schon volljährig, aber am liebsten geht er in die Jugenddisko am Mehringdamm. Ein Glück für Harkan. Jens Hilfreich war noch irgendwo in Wessiland auf der Grundschule, als 1961 im fünften Stock eines alten Fabrikgebäudes am Mehringdamm die Jugendtanzbar Dachluke eröffnete. Hier rockten die Heartbreakers und die Lords; hier trafen sich Jugendliche, rauchten, tranken und warteten auf das Ende der Pubertät. Und hier sollte sich etwas ereignet haben, was die Staatsanwaltschaft als »räuberischen Diebstahl« bezeichnet hatte. Laut Ermittlungsakte war Harkan Stammgast in der Dachluke. Eines Abends hatte ein Kellner Harkans Ausweis kontrolliert und festgestellt, dass er bereits volljährig war und ihn des Saales verwiesen. Harkan war beleidigt, bemächtigte sich auf dem Heimweg des Geldes, das in der Abendkasse lag, und floh, nicht ohne noch kurz die Geldkassette nach dem Kellner zu schleudern. Laut Harkan verhielt es sich so: Die deutschen Mädchen standen auf Araber und Türken, die schon »Eier in der Hose« hatten, und nicht auf diese pickligen deutschen Langweiler von der Hermann-Hesse-Schule. Deshalb nutzten die Deutschen jeden Vorwand, die Ausländer zu vertreiben. Außerdem habe er beim Rausgehen nur kurz unter den Tisch getreten, auf dem die Eintrittskasse stand. Mehr nicht. Die Verteidigungsstrategie: Harkan war aus rassistischen Gründen des Lokals verwiesen worden und gegen einen Tisch gestolpert. Die Verhandlung dauerte nicht lange. Der Kellner: Nein, man mache das immer so, wenn einer älter als 18 sei, egal ob Türke oder Deutscher. Hilfreich: «Aber Sie können sich schon noch daran erinnern, dass ich gestern bei Ihnen was zu trinken bestellt habe und nicht rausgeworfen wurde?« Der Staatsanwalt sprang auf: »Die Frage hat mit der Sache nichts zu tun!« Aber der Zeuge war schneller: » Ja, irgendwie kamen Sie mir bekannt vor. Aber Sie hatten ja keine Robe an.« Der Staatsanwalt: »Und er schaut auch mit Robe so jung aus«. Es lief wie am Schnürchen: Die Frau an der Kasse hatte nur gesehen, dass die Kassette durch die Gegend geflogen war und anschließend Geld auf dem Boden lag. Auch die anderen Zeugen wurden allmählich unsicherer: »Haben Sie gesehen, dass der Angeklagte Geld aus der Kasse nahm?« - »Nein.« - »Warum nicht?« - »Ich war doch auf dem Boden und sammelte das herumliegende Geld auf.« Verteidiger und Staatsanwalt beantragten Freispruch. Der Richter aber verurteilte Harkan zu einer Geldstrafe von 20 DM wegen Sachbeschädigung und der Übernahme der Verfahrenskosten. Am Ende zahlte Harkan 1000 Mark für die Geldkassette mit 17,50. Jens Hilfreich empfand aber auch ein gewisses Mitgefühl für den Mann an der Kasse, der ihn nur deshalb hereingelassen hatte, weil er behauptet hatte, oben warte eine Siebzehnjährige auf ihn. Womit sich der hilfreiche Anwalt auch noch den Eintritt erschlichen hatte. • |