Kreuzberger Chronik
September 2014 - Ausgabe 162

Herr D.

Der Herr D. und die Sonnenuhr


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von Hans W. Korfmann

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Warum man keinem Schnäppchen trauen sollte


Der Herr D. freute sich darüber, dass es noch Dinge gab auf der Welt, die sich nicht vollautomatisch und von alleine erledigten. Deshalb besaß er einen alten Toaster, bei dem ihm die fertigen Toasts nicht gleich entgegensprangen. Einmal unter Strom gesetzt, begann der Toaster rot zu glühen, und die Brotscheiben mussten eigenhändig und rechtzeitig gewendet werden, damit nicht eine Seite verkohlte, während die andere weiß blieb.

Der Herr D. hatte es im Lauf der Jahre zu einer gewissen Perfektion gebracht, seine Toasts waren beliebt. Aber er hatte nicht nur einen Toaster in der Küche, er hatte auch ein Telefon im Wohnzimmer. Und dieses Telefon klingelte in den letzten Jahren immer häufiger, auch während des Frühstücks, weshalb auch immer häufiger Rauchschwaden im Hausflur zu beklagen waren. Bis eines Tages die strahlende Nachbarin aus Bielefeld vor der Tür des Herrn D. stand und ihm einen funkelnagelneuen vollautomatischen Toaster überreichte.

Der Herr D. benutzte das moderne Küchengerät genau viermal. Dann qualmte es und blieb für immer kalt. Ebenso wie das neue Handy, das exakt einen Monat gehalten hatte, bevor es verstummte. Und die Kamera, deren Objektiv sich schon nach 46 Bildern nicht mehr ausfahren ließ. »Gegen die Wegwerfgesellschaft!«, hatte der Herr D. in Jugendjahren auf ein Bettlaken geschrieben. Damals ging es um den Butterberg, und um die Möbel der Großeltern, die auf dem Sperrmüll landeten. Nur, damit das Volk bei Ikea neue Möbel kaufen konnte.

Die Konsumgesellschaft des 21. Jahrhunderts aber stellte alles Dagewesene in den Schatten. Sie produzierte Artikel, die nicht einen einzigen Tag überlebten. So wie die Küchenuhr, die der Herr D. gekauft hatte. Sie sah aus wie die Küchenuhr seiner Mutter, sie tickte so laut wie die Küchenuhr seiner Mutter, aber der Minutenzeiger rührte sich nicht vom Fleck.

Da sah der Herr D. in einem Ein-Euro-Shop am Kottbusser Damm eine Sonnenuhr. Es war die letzte im Regal. Die Menschen wussten, dass eine Sonne so schnell nicht stehen bleiben würde. Der Herr D. klemmte den hübschen Pappkarton mit dem Kleinkunstwerk der Schmiedekunst fest unter den Arm und ging mit der letzten Sonnenuhr des Kaufhauses stolz und glücklich zur Kasse.

Zuhause hängte er das Schnäppchen genau so auf, wie es auf dem Karton in bestem Deutsch beschrieben war: Richtung Süden. Und tatsächlich zeigte die Uhr jeden Mittag um 12 die richtige Zeit an. Doch dann begann sie rückwärts zu laufen, der Schatten wanderte allmählich zurück zur 11, zur 10, bis es am Abend wieder frühmorgens war. Dafür zeigte sie frühmorgens bereits Nachmittagsstunden an.

Der Herr D. war verzweifelt. Er probierte alle möglichen Positionen aus, rätselte, bastelte, fragte. Bis eines Tages sein Freund Helmut kam, den Karton nahm und sagte: »Ist doch klar. Made in China. Die ist für die Südhalbkugel.« •


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