Kreuzberger Chronik
Oktober 2014 - Ausgabe 163

Strassen, Häuser, Höfe

Fraenkelufer Nummer 26


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von Werner von Westhafen

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Das Misstrauen war groß, als vor 30 Jahren mit dem Bau des Eckhauses begonnen wurde. Heute sind alle begeistert.

Es passt sich nicht nahtlos ein in die Architektur der Gründerzeitbauten: Die Nummer 26, das Haus am Eingang zur Admiralstraße, an der Ecke zum Fraenkelufer, erinnerte mit seinen übergroßen Fenstern und den hohen Betonstelzen, auf die sich die ausladenden, wie Flügel geschnittenen Balkone der ersten Etage stützen, zumindest zum Zeitpunkt der Erbauung weniger an ein Mietshaus als an ein Raumschiff, bereit zum Start in eine unbekannte Zukunft. Es entstand, ebenso wie die nicht weit entfernten und vom demselben Architekten erbauten Häuser mit den Nummern 38 und 44, als Gegenentwurf zu den schmucklosen Betonklötzen, die nach dem Krieg rund um das Kottbusser Tor aufgetürmt wurden.

Die Häuser der Architekten Inken und Hinrich Baller entlang des Fraenkelufers sind ein Erfolg. Reiseführer schwärmen von einer Architektur zwischen »Gaudi und Hundertwasser«, Touristen reisen an und fotografieren die Pflanzen, die sich an den Betonpfählen über die hängenden Gärten der Balkone und Terrassen bis zum Dach schlingen. Sie schreiten unter den Häusern hindurch in einen parkähnlichen, beinahe von der Admiralstraße bis zum Erkelenzdamm reichenden Garten mit Brücken, kleinen Gehölzen und Obstbäumen, hinter denen die drei Hinterhäuser der Nummer 38 kaum noch zu sehen sind.

Wahrscheinlich gäbe es das Idyll nicht, wären nicht anlässlich der Internationalen Bauausstellung von 1984-1987 Mittel zur Prestigepflege Westberlins bereitgestellt worden. Man wollte zeigen, dass Berlin allmählich aus den Ruinen auferstand. Vielleicht hätte man einen anderen Standort zur Demonstration der Wiedergeburt ausgewählt als das damals eher schmucklose Fraenkelufer, doch hier geriet die Planung ins Stocken. Hier waren viele Häuser von den Bomben verschont geblieben, lediglich die Nummern 38 und 44 sowie das Eckhaus an der Admiralstraße waren zerstört. Dennoch sahen erste Planungen in den Sechzigerjahren vor, sämtliche Altbauten bis auf die Synagoge und den Elisabethhof am Erkelenzdamm abzureißen und, so wie bereits am Böcklerpark, durch Betonwohnungen zu ersetzen.

Die Hinterhöfe zwischen der Kohlfurter Straße und dem Fraen-kelufer waren bereits entkernt, als der Bezirk im September 1979 beschloss, die Häuser am Ufer zu erhalten, einen Weg am Kanal anzulegen und dort, wo die Hinterhofbebauung bereits abgerissen war, neue Nutzungskonzepte zu erarbeiten. Natürlich kam es im Schatten der Betonklötze am Kottbusser Tor zu zahlreichen Bürgerversammlungen, drei Häuser am Fraenkelufer wurden besetzt, kam es zu legendären Straßenschlachten mit der Polizei. Erst im März des Jahres 1980 räumten Spezialeinheiten die berüchtigte »Fraenkelburg«.

Foto: Dieter Peters
Das Misstrauen der Bevölkerung gegen die Baupolitik des Senats war groß. Selbst das engagierte Architektenehepaar Baller, das die drei Kriegsbrachen in der Häuserzeile am Kanal füllen sollte, konnte das Vertrauen der Bevölkerung nicht zurückgewinnen. Die Pläne von einem Teich, »mehreren Gartenebenen« und einer Innenhoflandschaft »ohne Zäune und Abgrenzungen«, ohne »Fahrstraßen und Bordsteine«, wurden in Besetzerkreisen kritisch diskutiert, und am Ende wurde Professor Baller, der »eine Blume nach Kreuzberg hatte tragen« und eine Landschaft hatte schaffen wollen, »wo man sich auch ‘n Kuss geben kann vor der Tür«, anlässlich des Richtfestes von der Polizei nicht durch die Absperrung gelassen. Die Gefahr für seine Person schien den Beamten zu groß zu sein.


Foto: Dieter Peters
Nicht nur die Kreuzberger Skeptiker, auch die etablierte linke Architekturszene äußerte nur verhaltenes Lob und schrieb in den Kreuzberger Heften angesichts des Neubaus an der Ecke zur Admiralstraße zwar von dem »seltenen Fall erfolgreicher und publikumswirksamer Modearchitektur«, konnte sich aber nicht zurückhalten, dem Betonspiel des Architekten ironische Wortspiele entgegen zu setzen und in den »vorschnellenden Betonzungen« der Balkone den Ausdruck oraler Gelüste zu vermuten. Schon in der Bauphase ärgert die Kollegen »dieses bewegliche Sichzeigen der Betonstützen, das Heben des Fassadenrockes, gleichsam um gerade noch einen blitzendweißen Slip zu zeigen.« Die mutigen Interpretationen der Berufsgenossen endeten mit der Feststellung, dass das Eckhaus »so sexy und gespreizt, wie es sich gibt«, nichts mehr mit der Admiralstraße gemein habe und sich auch in Zukunft nicht ins Stadtbild einfügen könne.

Da irrten die Gelehrten. Das Haus aus dem Jahre 1988 gehört so zu Kreuzberg wie die Admiralbrücke aus dem Jahre 1882. Fast dreißig Jahre nach dem Richtfest ist der Vorzeige-Sozialbau eine stadtbekannte, wenn nicht internationale Adresse. Auch die Alternativen haben sich längst mit dem Professor angefreundet, denn es wohnt auch heute noch die ganz normale Kreuzberger Mischung in diesen Häusern. Es ist Gras über die Sache gewachsen, und die vorschnellenden Extremitäten sind längst von Balkonpflanzen überwuchert. •


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